Farben der Schuld
Zeugen oder zumindest den Hauch eines Motivs.
Die Zungenspitze des Priesters huscht über seine dünnen Lippen. Die Kirche Sankt Pantaleon gehört zu Opus Dei, hat Ralf Meuser im Morgenmeeting deklariert. Soweit Manni weiß, ist das ein katholisch-fundamentalistischer Geheimbund mit mehr als undurchsichtigen Strukturen, es gibt sogar Leute, die behaupten, dass die Opus-Dei-Mitglieder machtpolitische Fäden bis in die höchsten Ebenen internationaler Politik spannen würden. Hat Jens Weiß diese Ziele unterstützt und sich dann mit Opus Dei überworfen? Der Gemeindepfarrer hat das bislang vehement geleugnet, und Weiß' Frau und seine Kollegen im Krankenhaus sind bereit zu schwören, dass er in keinster Weise ein Kirchgänger oder gar ein religiöser Fanatiker war.
Und wenn er einfach nur hin und wieder sein Gewissen erleichtern wollte?
»Vielleicht war Jens Weiß ja einmal zur Beichte bei Ihnen.« Manni sagt das im leichten Tonfall, aber er mustert den Priester dennoch sehr genau.
»Das wäre theoretisch schon möglich.« Der Adamsapfel hüpft.
»Und? War es so?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Aber Sie sind nicht sicher.«
»Ich sitze im Beichtstuhl und warte, wer kommt. Nicht jeder stellt sich mir mit Namen vor.«
»Aber an die Inhalte können Sie sich schon erinnern.«
»Das Beichtgeheimnis ist heilig. Darüber werde ich nicht mit Ihnen sprechen.«
»Es geht um Mord.«
Der Priester lächelt dünn. »Hier bei uns werden Sie keinen Mörder finden.«
Scheißkirche. Scheißscheinheiligkeit. Die Tränen, die seine Mutter früher im Beichtstuhl vergossen hat, was sie über seinen Vater sagte, ihre Schluchzer und das beschwichtigende Gemurmel des Priesters – manchmal war das in der ganzen Kirche zu hören. Wo Manni sich in eine Ecke verdrückte und wünschte, er wäre weit weg. Wo auch noch andere Kirchgänger saßen und jedes Wort hörten. Und alle taten so, als wären sie taub.
Er steht auf und entdeckt draußen auf dem Kirchplatz Judith Krieger. Was zum Teufel treibt sie hier? Er macht einen Schritt aufs Fenster zu. Die Krieger steht exakt an der Stelle, wo Jens Weiß gelegen hat, obwohl es da überhaupt nichts mehr zu sehen gibt, denn der Reinigungsservice der katholischen Kirche war sehr effektiv.
»Fürs Erste habe ich keine weiteren Fragen.« Er gibt dem Priester die Hand, nimmt die Stufen des Pfarrhauses im Laufschritt, überquert den Kirchenplatz mit langen Schritten. Wo ist die Krieger? Er dreht sich einmal um die eigene Achse, entscheidet sich dann für eine Inspektion des Kircheninnenraums.
Dämmerlicht empfängt ihn dort drinnen, seine Schritte hallen auf den dunklen Steinfliesen, die von unzähligen Füßen glatt getreten sind. Die Zeit läuft uns weg, denkt er und spürt wieder dieses Unbehagen. Der Druck nimmt zu.
Gleich neben dem Eingang kann man Postkarten und Prospekte kaufen, zum Beispiel den heiligen Albanus mit seinem Schwert für fünfzig Cent. An der Pinnwand künden Fotos vom lustigen Karnevalstreiben in der Gemeinde: Frauen mittleren Alters beim Küchendienst. Dieselben Frauen, wie sie den Gemeindepfarrer anhimmeln.
Der Hauptraum der Kirche ist leer, nur zwei Nonnen hocken auf den Kirchenbänken. Ihr monotones Gemurmel und der Geruch von Weihrauch bringen einen Anflug der schummerigen Übelkeit zurück, die die Beichtausflüge mit seiner Mutter unweigerlich begleitete. Hinterher spendierte sie sich und ihm immer ein Eis, und obwohl das seine Übelkeit noch verstärkte, schlang er es hinunter.
Die Kraft für jeden Schlag und jeden Tritt muss aus dem Boden kommen, man muss diese Kraft spüren, muss lernen sie aufzunehmen, hat der Karate-Bundestrainer Karamitsos mal auf einem Lehrgang erklärt. Manni ballt die Rechte zur Faust, entspannt sie dann wieder. Über dem Altar schwebt eine trompetende Putte, auf der gegenüberliegenden Empore glänzen die goldenen Flügel des Lanzenengels im fahlen Nachmittagslicht, das durch die Bleiglasfenster dringt. Da, endlich, im rechten Seitenschiff entdeckt er die Krieger, halb verborgen von einem gigantischen Marmorsarkophag. Sie sitzt auf einer Kirchenbank und betrachtet ein Jesusgemälde, vor dem Votivkerzen brennen.
»Betest du neuerdings?«
Seine Stimme hallt von den Steinwänden wider. Die Krieger zuckt zusammen, wie zu Tode erschreckt, bekommt sich bei seinem Anblick jedoch sogleich wieder in den Griff.
»Ich bete für deine Seele.« Sie grinst.
Er setzt sich neben sie. Immerhin zeigt das Gemälde den Gottessohn mal nicht am Kreuz,
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