Farben der Sehnsucht
Gang, über den man ebenfalls in Dishlers Büro gelangen konnte, stand offen, doch die direkte Verbindungstür war geschlossen. Als Paris eingetreten war, schloß sie auch die Tür zum Gang, um völlig ungestört mit ihrem Vater sprechen zu können. »Wir haben ein Problem, Vater«, sagte sie so ruhig wie möglich.
»Welches denn?« fragte er, während er einen weiteren Briefumschlag öffnete.
Paris setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. »Weißt du, wie Gary sich mit Urgroßmutter vertragen hat? Ich finde, daß sie ihm gegenüber manchmal ziemlich barsch war.«
»Sie war zu jedem Menschen manchmal ziemlich barsch«, meinte Carter gelassen. »Wieso fragst du nach Gary?«
Paris atmete tief durch. »Die Polizei war gerade hier. Sie glauben, daß weder Sloan noch Paul Urgroßmutter umgebracht haben, sondern daß jemand anders die Waffe unter Sloans Matratze versteckt hat.«
»Du solltest dir nicht zu viele Gedanken darüber machen, Paris. Die ganze Geschichte macht dich sonst noch völlig verrückt. Laß die Polizei ihre Arbeit erledigen, und kümmere dich nicht weiter darum.«
»Ich glaube nicht, daß wir uns das leisten können.«
Er sah sie stirnrunzelnd an. »Was meinst du damit?«
»Die Polizei hat den Verdacht, daß ich es getan habe. Ich hatte ein stichhaltiges Motiv, und ich habe kein Alibi.«
»Aber das ist doch lächerlich! Mir scheint, daß entweder du selbst verrückt geworden bist oder die Polizei.«
»Es wäre allerdings verrückt, wenn man mich unschuldig ins Gefängnis sperren würde, aber solche Justizirrtümer geschehen die ganze Zeit. Es gibt nur eine Person, die die Waffe am Morgen nach Urgroßmutters Tod versteckt haben könnte, und das ist Gary Dishler. Neben uns vieren - Paul, Sloan, dir und mir - war er der einzige, der von der Polizei nicht weggeschickt wurde. Du hast es nicht getan, und ich habe es auch nicht getan. Bleibt noch Gary.«
Paris hatte den seltsamen Ausdruck, der kurz über das Gesicht ihres Vaters huschte, wohl bemerkt, aber er war so schnell wieder verschwunden, daß sie ihn nicht deuten konnte. War es etwa Angst? »Die Polizei wird von selbst nicht auf die Idee kommen, ihn zu verhören, sondern das Naheliegendste tun und mich verhaften. Ich glaube, wir sollten uns einen Privatdetektiv nehmen. Und außerdem werde ich wohl einen Anwalt brauchen. Wirst du dich darum kümmern?«
Jetzt war es Zorn und nicht Angst, was in seinem Gesicht zu lesen war, als Paris sich nach seinem Nicken anschickte, aufzustehen und hinauszugehen. Sie war schon an der Treppe angelangt, als sie eine Tür schlagen hörte und sich umwandte. Die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters war immer noch offen, doch die von Dishlers Büro, die vorher ebenfalls offen gewesen war, war nun geschlossen. Paris fragte sich mit einem Schaudern, ob ihr Vater wohl ausge-rechnet Dishler damit beauftragen würde, einen Anwalt und einen Privatdetektiv anzuheuern. Doch dann fiel ihr der Zorn auf dem Gesicht ihres Vaters ein, und sie hatte plötzlich den beängstigenden Verdacht, daß er beschlossen hatte, Dishler persönlich zur Rede zu stellen.
Die Furcht um ihren Vater veranlaßte Paris, entgegen ihren üblichen Prinzipien zurück in Carters Arbeitszimmer zu schleichen und zu versuchen, das Gespräch zwischen den beiden zu belauschen. Sie schloß vorsichtig die Tür hinter sich, ging zum Schreibtisch und wählte auf dem Telefon Gary Dishlers Durchwahl. »Ja, bitte«, schnauzte er, nachdem er abgenommen hatte.
»Gary? Oh, das tut mir leid«, sagte Paris und drückte vorsichtig eine Taste, durch die sie das Gespräch im anderen Zimmer mithören konnte. »Ich wollte eigentlich in der Küche anrufen.«
»Durchwahl zweiunddreißig«, sagte Dishler kurz und legte auf.
Dishler selbst hatte das neue Telefonsystem ausgewählt und ihr auch gezeigt, wie man die Mithörtaste drückte, als ihr Vater sich von seiner Herzattacke erholte und noch sehr schwach war. Paris hatte sie seither nicht mehr benutzt, entschied aber, daß dies ein Notfall war, der sie zu dieser Indiskretion berechtigte. Während sie nun angespannt lauschte, überkam sie nach anfänglicher Ungläubigkeit langsam das kalte Entsetzen.
»Ich sagte Ihnen doch bereits, Sie sollen sich beruhigen, Carter!« warnte Dishler ihren Vater in einem Ton, den sie noch nie an ihm gehört hatte. »Was erzählen Sie denn da für unglaubwürdige Geschichten?«
»Sie haben genau gehört, was ich gesagt habe. Meine Tochter hat mir gerade mitgeteilt, daß man sie
Weitere Kostenlose Bücher