Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
öffnen. Sein Blick fiel auf eine rußige und von Vogelkot fleckige Ziegelwand, die sich nicht weiter als sieben Fuß entfernt auf der anderen Seite der engen Gasse erhob.
Die Fenster in dieser gegenüberliegenden Wand waren zumeist geöffnet und rahmten die Rücken von Menschen ein, die auf Stühlen saßen, sowie blasse Gesichter, die hinausschauten, weiterhin nur schwach wahrnehmbare Bewegungen und auch einen Streit. Die Luft in der Gasse war noch schlechter als die im Zimmer. Der Lärm der Stadt drang herein, und Nico lehnte sich aus dem Fenster, weil er einen Blick auf die Gasse unter ihm werfen wollte, die voller Abfall und Pfützen war. Wenn er nach links schaute, sah er eine ganze Reihe ähnlicher Gassen, die alle zu der Bucht führten, die den Ersten Hafen bildete.
Erneut betrachtete er die Fenster auf der anderen Seite, während sein Gefährte hinter ihm auspackte. In dem Fenster, das ihnen unmittelbar gegenüberlag, sah er einen alten Mann auf einem Schemel sitzen und etwas aus einem Haufen von Streichhölzern zusammenbasteln.
Nico wandte sich von diesem Anblick ab und lehnte sich gegen das Fensterbrett. Er bemerkte, dass das schwache Tageslicht die Schäbigkeit dieses Zimmers nur noch deutlicher machte.
»Wann treffen wir uns mit Baracha und Aléas?«
»Morgen«, sagte Asch, während er sorgfältig Hohlstecken und Seife neben das Waschbecken legte. »Aber wir müssen erst die Agentin aufsuchen und uns vergewissern, dass sie wohlbehalten hier eingetroffen sind.«
»Wir könnten jetzt gehen.«
»Nein. Wir warten besser, bis es dunkel ist.«
Na wunderbar , dachte Nico. Die Aussicht darauf, in diesem Zimmer den ganzen Nachmittag herumzusitzen und gar nichts zu tun, gefiel ihm nicht.
»Ihr seid doch schon einmal in Q’os gewesen. Vielleicht könntet Ihr mich ein wenig herumführen?«
»Hier«, sagte Asch und gab ihm eins der kleinen Bücher, die er in seinem Gepäck mitschleppte. »Das kannst du lesen, falls dir langweilig ist. Es ist in der Handelssprache geschrieben. Ich für meinen Teil mache ein Nickerchen. «
Nico betrachtete das Buch, das ihm entgegengehalten wurde, nahm es aber nicht an sich. Er vermutete, dass es sich um einen Band mit Gedichten handelte. Asch las andauernd solches Zeug.
»Ich würde meine Zeit lieber damit verbringen, mir alle Fingernägel herauszureißen, wenn ich ehrlich sein darf.«
Asch hob eine Braue und legte das Buch aufs Bett. Während der ganzen Reise hatte er immer wieder diese Reaktion gezeigt, wenn er Nico etwas zu lesen angeboten
und dieser abgelehnt hatte. Aber diesmal fügte er hinzu: »Du kannst nicht lesen, oder, Junge?«
Nico richtete sich auf. »Natürlich kann ich lesen. Ich will es bloß nicht.«
»Nein. Vielleicht bist du in der Lage, einzelne Wörter zu verstehen, aber ich glaube nicht, dass du richtig lesen kannst.«
Nico nahm das Buch vom Bett. »Wollt Ihr, dass ich Euch etwas vorlese? Hier steht zum Beispiel …« Er kniff die Augen zusammen und betrachtete die Wörter auf dem Einband. »Der – Ruf des – Reihers «, rezitierte er, schlug das Buch auf und betrachtete eine Seite des feinen schwarzen Drucks. » Eine Samm – lung von Gedan – ken von … « Die Worte tanzten vor seinen Augen, wie sie es immer taten. Er konnte sie nicht mehr deutlich erkennen und blinzelte. Aber es half nicht.
Angewidert warf er das Buch aufs Bett.
»Es ist nicht so, dass ich es nie versucht hätte«, sagte er. »Die Worte schieben sich ineinander. Sie springen herum und verändern sich, wenn ich sie ansehe. Bei Theaterstücken kann ich dem Gang der Handlung wenigstens folgen, aber nicht bei Büchern.«
»Ich verstehe«, sagte Asch. »Ich habe dieselben Schwierigkeiten. «
»Ihr lest doch die ganze Zeit!«
»Ja, inzwischen tue ich das. Aber als Junge hatte ich Schwierigkeiten damit und habe mich deshalb vor Wörtern gefürchtet. Einige Menschen werden so geboren, Nico. Aber das muss uns nicht vom Lesen abhalten. Es macht es nur schwieriger. Du brauchst Übung und deine
eigene Geschwindigkeit. Komm, setz dich neben mich, und ich zeige es dir.«
Wenn er es gekonnt hätte, wäre Nico zurückgewichen. Doch er spürte, wie sich der Fenstersims gegen ihn drückte. Asch saß auf dem Bett und nahm das Buch in den Schoß. Er bemerkte Nicos Widerstand.
»Vertrau mir, Nico. Es ist etwas sehr Wertvolles in diesem Leben, wenn man lesen kann.«
»Aber alles, was Ihr habt, sind diese Gedichte. Gedichte langweilen mich.«
»Unsinn. Gedichte sind das, was wir leben
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