Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
das gleiche Abendbrot zu essen. Soll ein Ort, an dem solche Dinge geschehen, das Ziel meiner Träume sein? Sag, Dorly, verstehst Du mich? Ja, Du verstehst mich, da bin ich ganz ruhig.
Vielleicht sollten Kurt und ich hübsch leise heimkehren nach Wuppertal und uns zum Arbeitsdienst melden. Was meinst Du? Das wäre doch auszuhalten für eine Weile. Man müsste halt Augen, Ohren und Mund zusperren, freitags Lotto spielen und sich um nichts als um sich selbst kümmern. In ein paar Monaten würde sich schon eine Technikerstelle finden in einem Stahl- oder Kohlewerk. Der obligatorischen NS Reichsfachschaft Deutscher Industrietechniker müsste man halt beitreten, aber eine Dreizimmerwohnung könnte man sich schon leisten. Dann könntest Du nachkommen, und wir würden alle drei zusammen leben. Was meinst Du, Dorly? Es gibt auch in Wuppertal Kaufhäuser, weißt Du? Da würdest Du bestimmt eine Stellung finden.
Aber nein, das geht alles nicht, das wäre ein Irrsinn. Es besteht doch eine göttliche Ordnung – muss bestehen! –, der wir uns nicht entziehen können. Das Leben ein Irrsinn? Zwecklos? Nein, abermals nein! Es hat einen Sinn! Wir müssen weiterkämpfen, uns befreien. Und wenn Gott es will, werden Du und ich bald wieder vereint sein, wo und unter welchen Umständen auch immer. Und meint’s das Schicksal gut, dann bin ich frohgemut, und meint’s das Schicksal schlecht, denk ich erst recht: In Deinen Händen ruh ich von allem aus – in Deinen Händen bin ich ganz zuhaus. Dein Freund Waldemar.«
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Auf dem Basler Kriminalkommissariat sitzt ein Mann mit gewaltigen Pranken und kräftigen Kiefermuskeln. »Ich, Karl Kaufmann-Langenegger, geboren 1896 , Schlosser, wohnhaft in Füllinsdorf, Baselland, setze hiemit für Angaben, die zur Ermittlung der Täterschaft führen, eine Belohnung von Fr. 1000 , – aus. Der in der Wever-Bank ermordete Kaufmann Arnold war mein Bruder. Vorgelesen und unterzeichnet: Basel, den 12. Januar 1934. Kaufmann Karl.«
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»Schweizerischer Polizeianzeiger«, Bern: »Es lassen die Nebenumstände des Stuttgarter und des Basler Banküberfalls einen Zusammenhang immerhin möglich erscheinen, obschon die vorhandenen Gestaltsbezeichnungen über die Täter in wesentlichen Punkten auseinandergehen. Zudem haben die Sachverständigen festgestellt, dass in Stuttgart alle Schüsse aus einer Waffe abgegeben, in Basel aber aus zwei verschiedenen Waffen geschossen wurde und dass Identität zwischen der Stuttgarter und den Basler Pistolen nicht besteht. Alle drei Waffen sind Selbstladepistolen Kaliber 7,65 mm, deren System jedoch mangels genügender Merkmale nicht feststellbar war. Als festgestellt kann jedoch gelten, dass es sich um zwei jüngere Männer handelt, von denen der eine etwas größer ist als der andere, dass beide rasche und gewandte Bewegungen haben und entschlossen sind, ›aufs Ganze‹ zu gehen.
Wenn die Annahme eines Tatzusammenhangs zwischen Stuttgart und Basel richtig ist, wird damit zu rechnen sein, dass die Räuber bald wieder unter ähnlichen Umständen in anderen Städten auftreten, da sie in Basel nur etwa 350 Franken Silbergeld erbeuteten. Es wird deshalb um besondere Beachtung dieser Vorgänge und schleunigste Mitteilung sachdienlicher Wahrnehmungen an Kriminalpolizei Stuttgart und Basel gebeten. In beiden Fällen sind für Aufklärung der Verbrechen hohe Belohnungen ausgesetzt.«
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Der Banklehrling Werner Siegrist hat es schwer in den Tagen nach dem Banküberfall. Tag und Nacht fahren Seitenwagen-Motorräder der Polizei bei seinem Elternhaus vor, um ihn für eine Gegenüberstellung mitzunehmen. Man schleppt ihn von der Arbeit weg, und fast jede Nacht wird er aus dem Schlaf gerissen. Er verliert den Appetit, leidet unter Schlaflosigkeit und wird schwermütig. Als aber eines Abends Familie Siegrist beim Abendessen in der Küche sitzt und es schon wieder an der Wohnungstür klingelt, faltet der Vater seine Serviette nach Art des gewissenhaften Eisenbahners, der er ist, legt sie auf den Tisch und sagt: »So, jetzt ist aber Schluss. Der Bub fängt mir ja noch an zu spinnen.« Er geht zur Tür und schickt den Polizisten weg, und als dieser ihm mit Drohungen kommt, wird Vater Siegrist laut und zeigt dem Beamten mit ausgestrecktem Arm, wo der Zimmermann das Loch gemacht hat. Am nächsten Morgen verreist Lehrling Siegrist per Bahn zur Kur nach Montreux, wo die Eisenbahnergewerkschaft ein Hotel betreibt. Die Kosten übernimmt die
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