Fast genial
den Fluss. Es war ein
warmer Nachmittag, die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser, neben ihm saß eine
Japanerin in einem pinkfarbenen Trainingsanzug und telefonierte. Als Kind war
Francis oft in New York gewesen. Er hatte Ryan in seiner Kanzlei besucht, und
auch nach der Scheidung war er ein Mal die Woche mit ihm in Manhattan Mittag
essen gegangen. Sein Stiefvater hatte versprochen,
ihn immer zu unterstützen, und Francis war sich
sicher gewesen, dass sich an ihrem Verhältnis nichts ändern würde. Aber bald
hatten sich die Probleme gehäuft. Er war in die Pubertät gekommen und hatte
rebelliert. Und er hatte diesen simplen Gedanken einfach nicht abschütteln
können: Wenn Ryan ihn wirklich so gern hatte, wieso lebte er dann lieber allein
mit seinem richtigen Sohn in New York?
Dieser Gedanke war in den folgenden Jahren stärker
geworden und hatte ihre Beziehung vergiftet. Sie hatten sich nur noch selten
zum Mittagessen getroffen. Ryan hatte die unschöne Angewohnheit gehabt, sich
als sein Vater aufzuspielen und ihn zu kritisieren, und einmal war es dabei zu
einem folgenschweren Streit gekommen. Ryan hatte schlecht über seine Exfrau
geredet, Francis hatte seine Mutter verteidigt und entgegengehalten, er sei
nicht sein richtiger Vater, und schließlich hatte er Ryan in einem unbeherrschten
Moment ein kaltherziges Arschloch genannt. Danach hatte es gar keine Treffen
mehr gegeben, sie sprachen nur noch das Nötigste miteinander. Doch jetzt würden
sich die Dinge endlich ändern.
Francis machte sich auf den Weg zum Financial
District. Ryans Büro befand sich in der Cortland Street, früher hatte man von
der Kanzlei aus die Türme des Word Trade Center sehen können. Er fuhr sich noch
einmal durch die Haare und betrat das Hochhaus. Durch die Außenfassade aus
Stahl und Glas drang viel Tageslicht, die Böden aus grauweiß geschecktem
Marmor glänzten, die verspiegelten Wände blitzten auf. Bing, die Tür
des Aufzugs öffnete sich, und ihm strömte eine Horde von Anwälten entgegen. Er
fuhr ins 41. Stockwerk. Die Kanzlei Franzen, Lieberman, van Berg & Wilco
erstreckte sich über die ganze Etage. Francis erinnerte sich, wie Ryan vor etwa
sieben Jahren endlich Partner geworden war und sie seinen Namen im Briefbogen
aufgenommen hatten. Damals hatten sie noch als Familie zusammengelebt, es hatte
eine ziemlich große Party gegeben, und Ryan hatte ihm angeboten, dass er sich
zur Feier des Tages etwas von ihm wünschen dürfe. Offenbar hatte er sich
damals gewünscht, dass Ryan die Scheidung beantragte, Aktien am neuen Markt
kaufte und ihn und seine Mutter im Stich ließ.
Francis betrat den Teil der Kanzlei, in dem sein
Stiefvater sein Büro hatte. Ryans Sekretärin lächelte ihn an. Sie war sehr
attraktiv, trug einen Hosenanzug und ähnelte Betty Brant, der Sekretärin aus
den Spider-Man- Filmen . Sie hatte
sogar den gleichen Vornamen.
„Hallo, ich bin Betty“, sagte sie. „Du musst Francis sein. Ryan hat gleich Zeit für dich.“ Sie deutete auf eine Couchecke.
„Mach es dir doch so lange bequem.“
Francis setzte sich aufs Sofa, das dunkle Leder war
überraschend weich. Er betrachtete seine weißen Chucks. Ihm fiel auf, dass sie
mehrere Löcher hatten, und er nahm sich vor, neue Schuhe zu kaufen, sobald er
Geld hatte. Währenddessen hörte er, wie die Sekretärin Ryan anrief und ihm
sagte, dass er jetzt da sei. Natürlich ließ sein Stiefvater ihn weiter warten.
Francis griff sich die neueste Ausgabe des Rolling Stone und las.
„Möchtest du was trinken?“, fragte Betty.
Als er nickte, brachte sie ihm aus der Küche eine
Dose Pepsi an den Platz, blieb dann vor ihm stehen und musterte den Rolling Stone. Sie deutete auf ein Bild der
Strokes. „Ich war neulich auf ihrem Konzert.“
Da Anne-May die auch oft hörte, konnte Francis mitreden.
Er war froh, dass Betty sich kurz zu ihm setzte und sich noch ein bisschen mit
ihm unterhielt. Nicht, weil sie sexy war und aufregend roch (ihr Parfüm war
garantiert ein Geschenk von Ryan, er schenkte seinen Sekretärinnen immer Parfüm
zum Geburtstag), sondern, weil sie tatsächlich mit ihm flirtete. Vielleicht
glaubte sie, dass er mit Ryan verwandt sei und später mal viel Geld erben
werde, jedenfalls kam sie immer näher. Francis spürte, dass er jetzt gar nicht
viel zu sagen brauchte. Er musste ihr nur in die Augen sehen und so tun, als
wisse er etwas, was sie noch nicht wusste. Es schien zu wirken, denn sie
legte, während sie redete, einmal kurz ihre Hand auf sein
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