Fast genial
kaufte sie sich eine Bluse und hellblaue Jeans. Sie zog
sich um und nahm auch ihre Piercings raus. Francis fand, dass sie besser aussah
als je zuvor. Wie ein liebes, unglaublich hübsches Mädchen von nebenan. Die
Sorte Mädchen, die normalerweise eben nie nebenan wohnen.
Am späten Nachmittag kamen sie runter zum Strand.
Sie zogen ihre Schuhe aus und gingen barfuß am Ufer entlang, jeder für sich
allein.
Schließlich hatte Francis das Gefühl, nach Tagen des
Reisens innehalten zu müssen. Er grub seine Zehen in den feuchten Sand, atmete
tief durch und streckte die Arme aus. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, eine
leichte Brise kam auf. Er ahnte, dass das ein glücklicher Moment in seinem
Leben war, und blickte in die Weite des Pazifischen Ozeans.
Während Grover Fotos machte, saßen Anne-May und
Francis am Wasser. Er fragte sie, ob sie nicht befürchte, dass ihre Großmutter
sie bei ihren Eltern verpfeifen würde. Anne-May schüttelte den Kopf. „Meine
Nana ist spitze, die würde so was niemals tun. Sie hat schon früher zu mir gehalten,
wenn ich Probleme mit meinen Eltern hatte.“
Eine Weile beobachteten sie die Wellen, die Möwen,
die an ihnen vorbeiflogen, oder die Jugendlichen, die am Strand Beachvolleyball
spielten.
Dann nahm Anne-May Sand und ließ ihn auf seinen Arm
rieseln. „Denkst du an deinen Dad?“, fragte sie. „Hast du Angst?“
Während Francis überlegte, rückte sie an ihn heran
und war jetzt so dicht neben ihm, dass er Mühe hatte, sie nicht zu berühren.
Ihm fiel wieder auf, wie weiß ihre Haut war. Er betrachtete seinen gebräunten
Unterarm und hielt ihn zum Vergleich gegen Anne-Mays.
„Es geht“, sagte er schließlich. „Du bist ja dabei
und passt auf mich auf.“
Anne-May lächelte. „Als du das erste Mal neben mir
im Fernsehraum in der Klinik gesessen bist und dich entschuldigt hast, dachte
ich: Der ist eigentlich ganz süß.“
„Wirklich? Obwohl du die ganze Zeit geschwiegen
hast?“
„Ja, du bist groß, und mir gefiel auch deine tiefe
Stimme. Und manchmal hast du auch so eine witzige Art. Ich mag nämlich Männer,
die Humor haben.“
„Und ich dachte schon, du bist nur hinter meinem
Geld her.“
Sie lachte. Dann sprang sie auf und lief ins Wasser.
Francis blieb zurück und strich mit der Hand über den Abdruck, den sie im
Sand hinterlassen hatte.
Am Abend besuchte Anne-May ihre Großmutter. Grover
und Francis hatten keine Lust gehabt mitzukommen und setzten sich in eine Bar.
Auf den Bildschirmen an der Wand liefen Baseballspiele. Francis erzählte, dass
Anne-May in ihr Tagebuch Comics mit sprechenden Mäusen gemalt habe, die alle
seltsame Namen hätten. Grover meinte, er habe die Zeichnungen auch gesehen, und
sie fingen an, über Anne-Mays sprechende Mäuse Witze zu reißen.
Danach stellten sie sich die schlimmstmöglichen
Szenarien mit Francis' Vater vor. Etwa, dass Dr. Doble potthässlich, bucklig
und nur eins fünfzig groß war und auf seinem Anwesen Pornos mit Tieren drehte.
An diesem Abend verstanden sie sich endlich wieder gut.
Dann aber sprach Grover von seinem Studium in Yale
und dass er später eine Familie und ein Haus haben wolle, und wieder musste
Francis begreifen, dass er in seiner Zukunft nicht vorgesehen war.
Als Anne-May zurückkam, nahmen sie sich zwei Pensionszimmer
in der Innenstadt. Grover ging früh schlafen,
Anne-May und Francis unterhielten sich noch bis
Mitternacht in der Lobby. Sie erzählte von ihrem kleinen Bruder und dass
Jerome Pilot werden wollte.
„Wir haben uns damals leider oft gestritten. Er
durfte immer viel mehr machen als ich in seinem Alter, das hat mich total
geärgert.“
Francis wollte sie wieder fragen, wie ihr Bruder
gestorben war, doch da hatte Anne-May bereits das Thema gewechselt. Sie
schwärmte vom jungen Marlon Brando oder sprach davon, dass ihre Eltern sie
früher zum Fechtunterricht und zu Ferienkursen gezwungen hätten und wie sehr
sie es hasse, so unter ihrer Fuchtel zu stehen. Francis lehnte sich mit
verschränkten Armen zurück und nickte verständnisvoll, dabei spannte er jedoch
seinen Bizeps an und schaute cool, um möglichst Marlon-Brando-mäßig
rüberzukommen.
Anne-May schlug vor, noch spazieren zu gehen. In der
Stadt war wenig los. Sie schlenderten die hügeligen Straßen entlang, die Nacht
war klar, und Anne-May hakte sich bei ihm ein. Francis liebte das. Sie redeten
über alles Mögliche, und er gestand ihr sogar, dass er von ihren sprechenden
Mäusen wusste.
Anne-May reagierte
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