Fast geschenkt
Küche. Nur das Tropfen des Kaltwasserhahns ist zu hören. Als ich aufblicke, sehe ich Suzes sorgenvoll verzerrtes Gesicht.
»Bex - ich würde dir so gerne etwas Geld geben. Oder sonst Tarkie. Für ihn wäre das ein Klacks.«
»Nein!«, wehre ich etwas energischer als beabsichtigt ab.
»Nein, ich will eure Hilfe nicht. Ich...« Ich reibe mir das Gesicht. »Ich gehe zur Bank und spreche mit dem zuständigen Typen da. Heute noch. Jetzt.«
Entschlossen raffe ich den Stapel Post zusammen und gehe in mein Zimmer. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich werde mir jetzt das Gesicht waschen, mich neu schminken und dann mein Leben in Ordnung bringen.
»Und was willst du ihm sagen?«, fragt Suze, die hinter mir hergekommen ist.
»Ich werde ihm meine Situation ganz offen und ehrlich erklären und um einen höheren Überziehungskredit bitten ... und damit bezahle ich dann die Rechnung. Ich werde unabhängig und stark sein und auf eigenen Beinen stehen.«
»Toll Bex!«, sagt Suze. »Das finde ich echt super. Unabhängig und stark. Wirklich klasse!« Sie sieht mir dabei zu, wie ich mit zitternden Fingern versuche, den Koffer aufzuschließen. Als auch der dritte Versuch misslingt, kommt sie zu mir und legt mir die Hand auf den Arm. »Bex? Soll ich mitkommen?«
»Ja, bitte«, piepse ich.
Aber Suze lässt nicht zu, dass ich irgendwohin gehe, ohne mich vorher kurz hingesetzt und zwei Brandys getrunken zu haben. Dann erzählt sie mir, wie sie neulich einen Artikel darüber gelesen hat, dass die beste Waffe in einem Verhandlungsgespräch die äußere Erscheinung ist - was wiederum heißt, dass ich sehr sorgfältig überlegen muss, was ich zu meinem Termin mit John Gavin anziehe. Wir gehen meinen Kleiderschrank durch und entscheiden uns für einen schlichten schwarzen Rock und einen grauen Cardigan, der förmlich »Bescheiden! Dezent! Solide!« schreit. Dann müssen wir Suzes Outfit a la »vernünftige, unterstützende Freundin« zusammenstellen (dunkelblaue Hose und weißes Hemd). Wir sind fast fertig, als Suze plötzlich einfällt, dass wir möglicherweise noch andere Geschütze auffahren und mit John Gavin flirten müssen. Wir ziehen und also noch einmal aus, um in sexy Unterwäsche zu schlüpfen, und ziehen uns wieder an. Dann betrachte ich mich im Spiegel und finde, dass ich zu fade aussehe. Ich tausche den grauen Cardigan gegen einen rosafarbenen - was natürlich bedeutet, dass ich auch einen anderen Lippenstift auflegen muss.
Dann endlich verlassen wir das Haus und machen uns auf den Weg zur Fulhamer Zweigstelle der Endwich Bank. Als wir hineingehen, begleitet Derek Smeaths ehemalige Assistentin Erica Parnell gerade ein älteres Ehepaar hinaus. Unter uns gesagt, haben Mrs. Parnell und ich uns nie besonders gut verstanden. Irgendwie tickt die Frau nicht ganz normal - seit ich sie kenne, hat sie immer wieder die gleichen dunkelblauen Schuhe an.
»Ach, guten Tag«, sagt sie und macht aus ihrer Abneigung gegen mich keinen Hehl. »Was wollen Sie?«
»Ich möchte gerne mit John Gavin sprechen, bitte.« Ich bemühe mich, nicht zu sachlich zu klingen. »Ist das möglich?«
»Das glaube ich nicht«, ist ihre kalte Antwort. »Nicht ohne Voranmeldung.«
»Könnten Sie... es nicht bitte versuchen?«
Erica Parnell verdreht die Augen.
»Warten Sie hier«, sagt sie und verschwindet hinter einer Tür mit der Aufschrift »Privat«.
»Mann, sind die ätzend hier!«, sagt Suze und lehnt sich gegen eine Glaswand. »Wenn ich mich mit meinem Bankmanager unterhalte, bekomme ich ein Glas Sherry serviert und wir reden erst einmal ein bisschen über meine Familie. Weißt du was, Bex? Ich finde, du solltest zur Coutts Bank wechseln.«
»Ja«, sage ich. »Mal sehen.«
Etwas nervös blättere ich durch einen Stapel Versicherungsbroschüren. Mir fällt wieder ein, was Derek Smeath mir über John Gavin erzählt hat - er sei rigoros und unnachgiebig. Mann, wie mir der alte Smeathie fehlt!
Mann, wie mir Luke fehlt.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Keulenschlag. Seit ich aus New York zurück bin, habe ich versucht, überhaupt nicht an ihn zu denken. Aber jetzt, wo ich hier stehe, wünschte ich, ich könnte mit ihm sprechen. Ich wünschte, er würde mich ansehen, wie er mich angesehen hat, bevor alles schief lief. Mit jenem listigen Lächeln im Gesicht während er mich im Arm hielt.
Ich frage mich, was er jetzt wohl gerade macht. Wie seine Meetings laufen.
»Bitte, hier entlang«, höre ich Erica Parnells Stimme. Ich reiße den Kopf hoch.
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