Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
sich fühlen, wenn man zu jemandem gehörte, zu einer Familie? Wenn man von Verwandten geliebt und unterstützt wurde? Das erschien ihm wie ein Traum, eine helle Fantasiewelt, die er nur bei Clio und ihren Schwestern erblickt hatte. Offenbar gab es nichts, was einen Keil zwischen diese Mädchen treiben konnte. In unwandelbarer Liebe und Treue blieben sie einander verbunden. Diese Geisteshaltung bewunderte er, und er würde sie schützen – aus der Ferne.
Dann schaute er zu dem Mann hinüber, der allein an der Wand stand. In Yorkshire war der dunkelhaarige, viel zu hübsche italienische Graf Clios Komplize gewesen – und jetzt kein Zigeunerdieb mehr, sondern ein eleganter, gut gekleideter Gentleman, der den Damen sehnsüchtige Seufzer entlockte. Bei seiner Ankunft hatte Edward ein vertrauliches Gespräch zwischen Clio und dem Italiener beobachtet. Heckten die beiden irgendwelche Pläne aus? Zum Teufel mit diesem Kerl …
Vor seiner Reise nach Sizilien hatte Edward gewusst, welche Probleme ihn erwarten würden. Aber die Verschwiegenheit der Einheimischen, die gesellschaftlichen Aktivitäten der englischen Besucher und vor allem Clios Verhalten machten alles noch schwieriger.
Doch das würde ihn beileibe nicht von seinem Entschluss abbringen.
Nun betrat Lady Riverton die Bühne, die Thalia soeben verlassen hatte. „Meine lieben Gäste, Miss Chases Auftritt war der letzte an diesem Abend. Wie Sie alle erkannt haben, gibt es erstaunliche Talente in unserer kleinen Gemeinde.“ Freundlicher Beifall belohnte ihre kurze Ansprache, und sie lächelte beglückt. „Im Speiseraum ist das Dinner angerichtet“, verkündete sie. „Wenn Sie mir folgen würden …“
Während Stuhlbeine scharrten und die Gästeschar die Tür des Salons ansteuerte, wartete Edward am Rand des Gedränges und hoffte, der Aufmerksamkeit Lady Rivertons zu entrinnen. Bald gab sie die Suche nach ihm auf und ergriff den Arm des italienischen Contes.
Auch die Chases blieben im Salon zurück.
„Lady Rushworth leidet an Kopfschmerzen“, erklärte Sir Walter, „und ich habe versprochen, sie nach Hause zu begleiten. Und wie ich zugeben muss“, hörte Edward ihn hinzufügen, „bin ich selber müde. Diese gesellschaftlichen Veranstaltungen sind ziemlich anstrengend. Keine Ahnung, warum ich hergekommen bin …“
„Fühlst du dich nicht gut, Vater?“, fragte Thalia besorgt.
„Doch, meine Liebe, nur alt und erschöpft. Und morgen will ich möglichst zeitig in der Villa arbeiten.“
„Dann fahren wir mit dir nach Hause“, sagte Clio.
„Nein, nein! Thalia muss hierbleiben und ihren theatralischen Erfolg genießen. Später schicke ich euch die Kutsche …“
„Verzeihen Sie mir, Sir Walter“, fiel Edward ihm ins Wort und trat vor. „Zufällig habe ich Ihr Gespräch gehört. Wenn Miss Clio und Miss Thalia noch hierbleiben möchten, bringe ich sie nach dem Dinner heim. Mein Haus ist nicht weit von Ihrem entfernt.“
„Ah, das ist sehr freundlich von Ihnen, Averton“, erwiderte Sir Walter erleichtert. „Solange ich meine Mädchen in Ihrer Obhut weiß, bin ich beruhigt.“
„Vater …“, begann Clio und warf Edward einen unergründlichen Blick zu. „Wirklich, wir sollten dich begleiten.“
„In der Tat“, bestätigte Thalia, schaute aber sehnsüchtig in den angrenzenden Speiseraum, wo fröhliches Gelächter erklang.
„Unsinn, Clio“, protestierte Sir Walter, „ihr jungen Leute sollt euch amüsieren. Später bringt Averton euch heim, und dann werde ich schon schlafen. Gute Nacht, meine Lieben, lasst euch das Dinner schmecken.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ergriff er Lady Rushworth’ Arm und führte sie aus dem Salon. Thalia lächelte ihre Schwester boshaft an und eilte in den Nebenraum – zweifellos, um ihren „Triumph“ zu genießen.
Für einige Sekunden wirkte Clio seltsam unschlüssig, was nicht zu ihr passte. Sie wandte sich in diese Richtung, dann in die andere, als suchte sie einen Fluchtweg, um Edwards Gesellschaft zu entkommen. Da sie keinen fand, drehte sie sich notgedrungen zu ihm um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum haben Sie das getan?“
„Möchten Sie nicht mit den anderen Gästen dinieren?“, fragte er in gespielter Unschuld.
„Nun, ich wäre lieber nach Hause gefahren, weil ich ein Buch zu Ende lesen möchte.“
„Da ist Ihre Schwester sicher anderer Meinung. Und es wäre eine Verschwendung für Ihr schönes Kleid, heimzufahren und ein Buch zu lesen.“ Er bot ihr seinen Arm. Nur
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