Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
abgereist? Auch der Tornister fehlte, den sie täglich zu ihrem Bauernhaus mitnahm. Seltsam … Darin steckten ein Klappspaten und andere Werkzeuge. So etwas nahm man wohl kaum auf eine Besichtigungstour mit. Und die Bücher und Notizbücher lagen immer noch auf dem Schreibtisch.
Eigenartig … Zudem hatte ihre Schwester sich sehr merkwürdig verhalten, seit der Conte di Fabrizzi in Santa Lucia aufgetaucht war.
Thalia trat ans Fenster, zog die Vorhänge auseinander und spähte zur Straße hinab. An diesem späten Nachmittag eilten die Leute nach Hause. Ein junges Paar schlenderte vorbei, der Mann trug den Marktkorb der Frau. Lachend steckten sie die Köpfe zusammen.
Wie gut die beiden zueinanderpassen, dachte Thalia wehmütig. Musste es nicht wundervoll sein, zu irgendjemandem zu gehören, mit ihm das Leben zu teilen? Dafür zu kämpfen würde sich lohnen.
Sie erinnerte sich an die dunklen Augen des Contes, an seine charmanten Hänseleien, das Lächeln, das so vieles verbarg. Immer wieder hatte er versucht, mit ihr zu flirten, und auf der Walzerparty der Manning-Smythes die ganze Nacht mit ihr getanzt. Doch sie wusste noch immer nichts über ihn – nur eins – mit den anderen Männern ihres Bekanntenkreises ließ er sich nicht vergleichen, mit den Engländern, die sie anhimmelten und ihr geben würden, was sie wollte. Nur um einen Blick aus ihren blauen Augen zu erhaschen, ein kokettes Flattern ihres Fächers …
Nein, der Conte war ganz anders – klug genug, um ihre Listen zu durchschauen. Und sie bezweifelte nicht, dass er Clio schon vor der Teeparty bei Lady Riverton gekannt hatte. Bei ihren schauspielerischen Studien hatte Thalia viel gelernt – zum Beispiel, wie man die Gedanken und Gefühle der Menschen erkannte. Sie merkte ihnen an, wenn sie Geheimnisse oder Gewissensbisse hinter einem höflichen Lächeln und galanten Komplimenten versteckten.
Und Conte Marco di Fabrizzi hatte zweifellos Geheimnisse. Sogar viele. Wie Thalia sich eingestand, hätten seine attraktive äußere Erscheinung und sein Charme sie beinahe geblendet, ebenso die schwindelerregenden Emotionen, die sie jedes Mal empfand, wenn er sie auf einer Tanzfläche in die Arme nahm. Doch sie ließ sich nicht vollends betören. Sicher war er nicht nur nach Santa Lucia gekommen, um „Geschäfte“ zu erledigen und die Witwe seines verstorbenen Freundes Lord Riverton zu besuchen.
Hielt er sich hier auf, weil er Clio liebte? Ihre Augen verengten sich, als sie sich entsann, wie ihre Schwester bei der Begegnung mit dem Conte in Lady Rivertons Salon errötet war. Erwiderte sie seine Liebe?
War sie mit ihm durchgebrannt?
Seufzend schüttelte Thalia den Kopf. Wie sich die Dinge komplizierten, wenn einem niemand die Wahrheit über dies oder jenes erzählte! Ständig musste man überall herumschnüffeln und Geheimnisse enthüllen. Und das kostete sehr viel Zeit. Aber vielleicht würde sich die Mühe lohnen.
Manchmal war es ganz nützlich, wenn man für ein hübsches Bonbon gehalten wurde. Niemand vermochte zu ahnen, wie viele skandalöse Entdeckungen sie schon gemacht hatte.
Und jetzt musste sie herausfinden, was mit ihrer Schwester geschah – bevor es zu spät war.
21. KAPITEL
In Clios Ohren klang das Klirren des Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde, so laut wie Kanonendonner. Der Arm, mit dem sie die Bronzeschale hochhielt, begann zu schmerzen, Sekunden dehnten sich zu einer halben Ewigkeit.
Und dann ging alles blitzschnell. Die Tür schwang auf, und Clio sprang vor, zielte auf Edwards Dickschädel und ließ ihre „Waffe“ hinabsausen. Zu langsam.
Ehe sein Kopf getroffen wurde, packte er ihr Handgelenk und verdrehte es, bis sie die Schale fallen ließ, die er mit einem Fuß beiseiteschob. Vor Wut außer sich, trat Clio nach ihm. Doch sie vergaß, dass sie keine Stiefel trug. Ein heftiger Schmerz brannte in ihren Zehen, als sie gegen das harte Leder eines Reitstiefels stießen.
„Autsch!“, japste sie verwirrt.
Edward drückte sie an die Wand neben der Tür. Trügerisch leicht lagen seine Hände auf ihren Schultern. Beinahe wirkte die Berührung wie eine Zärtlichkeit. Doch sie wusste, sie konnte ihm nicht entfliehen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie brachte kein Wort hervor.
„Tut mir leid, Clio“, sagte er tonlos. „Dass es dazu kommt, wollte ich nicht.“
Endlich gehorchte ihr die Stimme wieder. „Zu einer Entführung? Das ist ein Verbrechen. Sogar, wenn ein Duke eine solche Tat begeht.“
„Sobald das
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