Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
bestreiten, sie wäre über die Aktivitäten des Dukes informiert. Doch dann nickte sie, denn sie wollte nicht lügen. „Ja, das wusste ich.“ Sie ergriff Thalias Hand und winkte Marco zu sich. „Jetzt muss ich mit euch beiden reden.“
„Das glaube ich einfach nicht!“, rief Thalia.
„Gewiss, diese Geschichte klingt sonderbar“, gab Clio zu. Sichtlich fasziniert saßen ihre Schwester und Marco neben ihr auf den Bühnenstufen, nachdem sie ihre Erlebnisse geschildert hatte, natürlich ohne die persönlichen Einzelheiten, die einige Ereignisse in der Jagdhütte betrafen. „Lady Rivertons Machenschaften, Avertons Bitte um Beistand …“
„O nein“, fiel Thalia ihr ins Wort. „Ich meine ein anderes Wunder – dass du mich um Hilfe bittest!“
„Warum sollte ich das nicht tun? Hier gibt es niemanden, der so viel von Theaterszenen versteht wie du.“
„Zweifellos stimmt das“, bestätigte Marco. „Sie ist eine sehr strenge Regisseurin. Und wie kam der Duke dazu, Lady Riverton zu verdächtigen?“
„Hast du sie auch verdächtigt?“, fragte Clio. Inzwischen hatte sie ihrer Schwester gestanden, sie würde den Conte schon länger kennen und sei sogar mit ihm befreundet. „Bist du deshalb nach Santa Lucia gefahren?“
„Nun, ich dachte, sie wüsste etwas über das Tempelsilber. Den Wert dieser Antiquitäten kann man kaum abschätzen. Und einem Gerücht zufolge ist die Dame hoch verschuldet. Man behauptet, sie sei eine Zeit lang in Florenz gewesen und dann überstürzt abgereist.“
„Wahrscheinlich hat sie ihre Hutmacherin nicht bezahlt“, bemerkte Thalia trocken. „Oh, ich will mein Bestes tun, damit sie ihre gerechte Strafe erleiden muss!“
„Also hilfst du uns?“, fragte Clio.
„Mit Vergnügen. Ich habe auch schon eine Idee, welche Theaterszene sich eignen würde. Aber …“
„Aber?“
„Nichts.“ Thalia warf Marco einen kurzen Blick aus ihren Augenwinkeln zu. „Gehen wir nach Hause, bevor die Dunkelheit hereinbricht. Vater wird staunen, wenn er dich schon so bald wiedersieht, Clio.“
„Ja, du hast recht – gehen wir heim. Morgen treffen wir uns wieder im Theater und besprechen unsere Pläne.“ Clio beobachtete, wie ihre Schwester die verstreuten Seiten ihres Skripts einsammelte.
Auch Marco schaute ihr zu, und Clio entdeckte einen träumerischen Ausdruck in seinen braunen Augen.
„Wenn du ihr wehtust“, flüsterte sie ihm ins Ohr, „wirst du’s bitter büßen.“
Verwirrt lächelte er sie an. „Cara, wenn es um die Beziehung zwischen deiner Schwester und mir geht, solltest du dich eher um mich sorgen.“
„Das meine ich ernst, Marco. Sie flirtet gern. Aber sie hat ein gutes, freundliches Herz. Und sie ist zu tiefen Gefühlen fähig …“
„Was auch für mich gilt, Clio. Und ich kann den Wert eines Menschen ebenso erkennen wie die Schönheit einer etruskischen Vase.“ Er stand auf und half Thalia, die Papiere einzusammeln.
Plötzlich wurde Clio von seltsamen Schwindelgefühlen erfasst. Innerhalb weniger Tage war so viel geschehen, in der Welt ringsum und in ihrer eigenen Seele.
28. KAPITEL
Clio beugte sich aus ihrem Schlafzimmerfenster und betrachtete die roten Dächer und den weißen Kirchturm von Santa Lucia. Wie üblich herrschte tiefe Stille unter der schwarzvioletten sizilianischen Nacht. Obwohl ich nicht lange weg war, hat sich sehr viel geändert, dachte sie. In der Luft lag eine spürbare Spannung – eine erwartungsvolle Atmosphäre. Was würde in der nächsten Zeit geschehen, wenn der Frieden der kleinen Stadt gestört wurde?
Vielleicht ist nicht die Stadt verändert, überlegte sie, sondern ich bin’s … Seit den beiden viel zu kurzen Tagen mit Edward sah sie die Welt in ganz anderem Licht.
Auf das Fensterbrett gestützt, sog sie die klare, kühle Nachtluft tief in ihre Lungen. Als Liliendiebin hatte sie keine Angst empfunden, nur Nervosität, wann immer sie in eine Bibliothek oder eine Galerie eingedrungen war – niemals diese kalte Furcht, die sie jetzt bedrückte. Früher hatten ihr große Verluste gedroht. Und nun würde sie womöglich alles verlieren – Edward.
Natürlich gehört er mir nicht, überlegte sie lächelnd. Er ist keine Statue oder Elfenbeinschatulle, die ich an einem sicheren Ort verstecken könnte, so gern ich das auch tun würde … Aber er war ihr Liebster, und sie wusste, in welche Gefahr ihn seine Arbeit brachte. Denn er musste Leute bekämpfen, die in ihrer Gier nach Reichtum keine Skrupel kannten. Die Ehrfurcht vor
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