Fatal Error
weiteres Feld abhakte.
Ich hatte versucht, in die Wirtschaftsprüfungsteams für möglichst viele Banken zu kommen, in der Hoffnung, dass mir dann die Banken erspart blieben, sobald ich das Diplom hatte. Eine hübsche Theorie, aber es war so langweilig, unendlich langweilig.
Ein einziger Gedanke hielt mich am Leben wie der Anblick einer Oase am Wüstenhorizont. Am Abend fand ein Treffen ehemaliger Broadhill-Schüler in einem Hotel in der Nähe der U-Bahn-Station Marble Arch statt. Der Direktor würde in seiner Rede um Spenden bitten, und es würde viel zu trinken geben. Außerordentlich viel. Ich freute mich darauf.
Ich freute mich auch auf die Leute, die ich dort treffen würde. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu irgendjemandem aus der Schulzeit. Das Leben an der Uni und als Wirtschaftsprüfer hatte mich von ihnen entfernt. Von einem oder zweien hatte ich in der Zeitung gelesen: einem stillen Mädchen aus meinem WiPo-Kurs, die eine Medaille bei den olympischen Schwimmwettbewerben in Seoul gewonnen hatte, und einem Jungen, der seine Expeditionsmitglieder gerettet hatte, nachdem sie zwei Wochen lang im Dschungel auf Borneo verschollen gewesen waren. Auch von ihren Vätern hatte ich gelesen: Torsten Schollenbergers Vater war angeklagt worden, weil er einen deutschen Minister bestochen haben sollte, und Troy Barton hatte einen Oskar gewonnen. Aber nichts über Guys Vater. Oder über Guy. Der Gedanke an beide ließ mich innerlich rot werden. Selbst fünf Jahre danach konnte ich nicht an Guy denken, ohne von Schuldgefühlen überwältigt zu werden. Ich hoffte, er würde an diesem Abend nicht da sein.
Er war da. Er war der Erste, den ich sah, als ich den bereits überfüllten Festsaal des Hotels betrat.
Ein Glas Wein in der Hand, stand er mit zwei Leuten zusammen, die mir vage bekannt vorkamen. Er hatte sich nicht sonderlich verändert: Das blonde Haar kämmte er jetzt nach hinten, und er hatte etwas zugenommen. Nervös zögerte ich, da ich nicht wusste, wie ich den Raum betreten sollte, ohne dass er mich sah.
In diesem Moment blickte er auf und schaute mich an. Ein strahlendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und er kam sofort herüber. »Davo! Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?« Freudig schüttelte er mir die Hand. »Besorgen wir dir erst mal was zu trinken.«
Er blickte auf sein volles Glas, kippte es in einem Zug hinunter und zog mich zu einer Kellnerin mit einem Tablett, wo er sein leeres gegen ein volles austauschte und mir mein erstes Glas reichte.
»Cheers«, sagte er.
Eine ungeheure Welle der Erleichterung überkam mich, als würde sich die Spannung, die sich irgendwo in mir zusammengekrampft hatte, endlich lösen. Ich hatte angenommen, Guy würde nie wieder mit mir sprechen, und mir eingeredet, das würde mir nichts ausmachen. Jetzt merkte ich, dass es mir durchaus etwas ausgemacht hätte. Außerdem bemerkte ich, dass Guy betrunken war. Das störte mich nicht im Geringsten, es bedeutete nur, dass ich einiges aufzuholen hatte.
»Gott sei Dank, dass du gekommen bist«, sagte Guy. »Erinnerst du dich an diese beiden Typen? Ich nicht. Aber sie scheinen sich einzubilden, dass wir in der Schule die besten Freunde waren. Elend langweilig.«
Mein erster Gedanke war, dass ihr Leben kaum langweiliger sein konnte als meins.
»Was machst du, Davo?«
»Verdeckter Ermittler.« »Undercover-Agent? Für wen?«
»Kann ich dir nicht sagen. Wenn ich es dir sagen würde, müsste ich dich auf der Stelle umbringen. Und das würde ’ne ziemliche Sauerei geben. Weißt du, ich hab eine Spezialausbildung. Du hättest keine Chance. Was ist mit dir?«
»Ich bin ein berühmter Schauspieler.«
»Ach ja? Ein berühmter Schauspieler? Wieso habe ich dann noch nie von dir gehört?«
»Ich benutze nicht meinen richtigen Namen, aber ich habe in letzter Zeit in vielen tollen Filmen gespielt. The Division, Morty’sFall.«
»Morty ’s Fall habe ich gesehen«, sagte ich. »Aber dich hab ich nicht erkannt.«
»Da siehst du, was ich für ein guter Schauspieler bin.«
In diesem Augenblick klatschte ein großer Mann mit den breiten Schultern und dem kräftigen Hals eines RugbySpielers in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu lenken. Es war der neue Direktor, der über die Schule sprach und darüber, dass sie Geld für ein neues Theater brauchte. Er verstand es, seine Zuhörer auf eine sehr sachliche Art zu fesseln. Doch meine Aufmerksamkeit wurde von Guy in Anspruch genommen. Er schien eine Art
Weitere Kostenlose Bücher