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Fatal Error

Titel: Fatal Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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meinem Vater. Probleme mit meiner Mutter. Probleme mit Dominique. Die Tussi hat sich fast umgebracht, als sie hörte, was in Frankreich passiert ist. Wenn man ihr glauben will, ist es ein Wunder, dass ich kein Psychopath geworden bin.«
    »Du und depressiv, das kann ich mir gar nicht vorstellen«, sagte ich.
    »Kannst du nicht?«, erwiderte Guy rasch und blickte mich an.
    Er bat mich, darüber nachzudenken, also tat ich es. Guy, der Charmebolzen, Guy, der jeden zum Lachen brachte, Guy, der natürliche Mittelpunkt jeder Gesellschaft, Guy, der Anführer. Doch ich erinnerte mich auch an Augenblicke unerklärlicher Melancholie in der Schule, wenn er vor sich hin brütete, weil irgendein Mädchen seinem Charme nicht erlegen war, oder auch ohne einen erkennbaren Grund dasaß und grübelte. Ich hatte das damals einfach als Verrücktheit abgetan. Wer beneidete Guy nicht?
    Aber vielleicht hatte der Schein getrogen.
    »Eines Tages wachte ich in meinen Klamotten auf dem Fußboden irgendeiner fremden Wohnung in Westwood auf und fühlte mich wie Scheiße. Schlimmer als Scheiße. Ich brauchte zwanzig Minuten, um festzustellen, dass es Montagmorgen war, und weitere zehn, um mich daran zu erinnern, dass ich für eine Rolle in einem TV-Pilotfilm vorsprechen sollte. Es hätte mein großer Durchbruch sein können. Aber es war zu spät. Ich konnte es auf keinen Fall mehr schaffen. Der Typ, dem die Wohnung gehörte, kam rein. Er war nur ein paar Jahre älter als ich, sah aber aus wie vierzig. >Was ist los, John?<, fragte er. Er kannte noch nicht einmal meinen Namen! Am Samstagabend war ich gekommen. Jetzt hatten wir Montagmorgen. Am Nachmittag hatte ich einen Termin bei meiner Therapeutin. Ich sollte über meine Mutter sprechen und über die Gefühle, die ich ihr gegenüber hatte. Das tat ich.
    Mein Gehirn war wie Brei. Dann begann sie zu reden. Wie wütend ich auf meinen Vater sei, dass meine Mutter mich enttäuscht hätte und was weiß ich nicht alles. Psychokacke eben. Ich saß da, und plötzlich wurde mein Kopf klar. Sie redete Mist. Nichts als Mist. Ich war dafür verantwortlich, dass ich auf dem Fußboden dieser fremden Wohnung gelandet war. Ich war dafür verantwortlich, dass mein Leben ein Scherbenhaufen war. Und ich ganz allein hatte es in der Hand, das zu ändern.«
    »Was hast du getan?«
    »Ich stand augenblicklich auf und verließ ihre Praxis. Fuhr hinauf in die Berge und dachte nach. Kehrte nach England zurück und gründete Ninetyminutes.«
    Schweigend gingen wir weiter, bis wir nach Clerkenwell Green kamen, wo wir uns auf eine Bank setzten. Natürlich war vom Grün keine Spur mehr, aber es war eine relativ stille Oase in einiger Entfernung vom Verkehr der Farrington und der Clerkenwell Road.
    »Das hast du mir nie erzählt«, sagte ich.
    »Nein.«
    »Du hättest es müssen.«
    »Ich hielt es nicht für wichtig.«
    »Guy!«
    »Ich finde das noch immer. Wahrscheinlich mag ich mir nicht eingestehen, dass es wichtig ist, und dir schon gar nicht. All diese alten Geschichten. Wirklich. Du hast mich in den letzten fünf Monaten jeden Tag gesehen. Du kannst bezeugen, dass ich mich verändert habe.« Zustimmung heischend sah er mich an.
    »Klar hast du dich verändert«, sagte ich. »Glaubst du, Henry kriegt was raus?«
    »Nein«, sagte Guy. »Die einzige Nummer in LA, die ich ihm gegeben habe, ist die von Lew, meinem Agenten. Er kennt die Geschichte, jedenfalls größtenteils, aber ich kenne Lew. Sein erster Impuls ist immer, zu lügen. Er wird mich decken, ohne zu wissen, warum.«
    »Hoffst du.«
    »Hoffe ich.«
    Wahrscheinlich würde er es. Solche Dinge taten die Menschen für Guy, das wusste ich nur zu gut.
    Wir saßen da und schauten auf die grimmige Fassade des Old Sessions House, Londons Freimaurerzentrum, das missbilligend auf die schicken Yuppie-Bars und Restaurants hinabzublicken schien, die zu seinen Füßen wie Pilze aus dem Boden schossen. Ein in Latex gekleideter Radfahrer kettete sein Fahrrad an das blassgrüne Geländer vor den öffentlichen Toiletten, die in der Parkmitte standen, und betrat das einzige noch in der Gegend verbliebene Café.
    »Hätte ich es Henry sagen sollen?«, fragte Guy.
    Ich überlegte. Meine eigene Strategie gegenüber Orchestra war, ihnen alles zu sagen. Wir würden gemeinsam noch stürmische Zeiten durchstehen, deshalb mussten wir einander vertrauen. Aber Henry hielt Guy bereits für einen Wackelkandidaten. Das machte die Sache nicht leichter. Andererseits hatte ich Verständnis für Guys

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