Fatal - Roman
nicht infrage.« Ron lächelte. »Durch deine Artikel bin ich geradezu zum Staranwalt aufgestiegen. Viele Mandanten verdanke ich dir. Also …«
»Ich möchte dich bezahlen.«
»Komm zur Sache.« Er wies zur Tür. »Ich höre die Vogelscheuche schon singen. Der Film dauert nur neunzig Minuten. Wir haben nicht viel Zeit.«
»Als Erstes eine Frage. Kann ich auf deine Verschwiegenheit zählen?«
»Aber selbstverständlich.« Ron nickte. »Wie kann ich dir helfen?«
Ellen zögerte. »Was passiert, wenn es um ein Verbrechen geht? Ich habe keines begangen, aber ich weiß oder vermute, dass jemand eines begangen hat. Bleibt die Sache dann immer noch unter uns?«
»Ja.«
»Wenn ich dir von diesem Verbrechen berichte, musst du die Polizei nicht informieren?«
»Mir würden die Mandanten weglaufen, wenn ich es täte.«
Ellen gefiel sein freundlicher, verbindlicher Ton. »Gut, dann lege ich los. Ich vermute, dass Will gar nicht Will ist, sondern ein Junge namens Timothy Braverman, der vor zwei Jahren in Florida entführt worden ist.«
»Will? Dein Sohn Will?«
»Ja.«
Ron zog eine Augenbraue hoch. »Es geht also um Entführung?«
»Ja. Der Kidnapper hat sogar das Kindermädchen des Jungen erschossen.«
»Das sind Verbrechen, die vor der Adoption liegen.
Daraus kann man dir keinen Strick drehen. Du hast ihn legal adoptiert.«
»Das ist es, was ich wissen muss. Falls Will Timothy ist, wie sieht es mit meinen Rechten aus? Können seine leiblichen Eltern ihn mir wegnehmen? Muss ich ihn an sie zurückgeben, wenn sie die Wahrheit erfahren? Würde es für das Gericht eine Rolle spielen, dass Will zwei Jahre bei mir gelebt hat?« Ellen hatte Fragen über Fragen, sie konnte nicht mehr an sich halten. »Dass ich die Einzige bin, die er Mutter nennt, könnte das …«
»Bitte, beruhige dich.« Ron hob die Hände. »Erzähl mir, wie du darauf kommst.«
Ellen erzählte ihm die Geschichte von Anfang an und zeigte ihm die Adoptionsakte, die Phantomzeichnung und die ausgedruckten Bilder von Timothy und Will. »Mein Vater hält mich übrigens für verrückt. Er ist der Einzige, dem ich davon erzählt habe.«
Ron sah sich die Fotos genau an. Er legte sogar das Phantombild über das vergrößerte Foto des Mannes vom Strand. Schließlich sah er zu ihr auf, sein Blick war ernst.
»Was denkst du?«
»Du bist nicht verrückt. Du machst dir zu Recht Gedanken.« Er sah ihr immer noch in die Augen. »Die Phantomzeichnung ist der Knackpunkt. Du kannst deine Vermutung, dass Will Timothy Braverman ist, nicht auf die Ähnlichkeit einer Phantomzeichnung mit einer Fotografie aufbauen. Dazu ist das Verfahren zu unzuverlässig. Ich sehe zwar gewisse Ähnlichkeiten, aber dass es sich um dieselbe Person handelt, wage ich nicht zu behaupten.«
Ellen versuchte, das Gesagte zu verarbeiten, aber ihre Gefühle stellten sich ihr in den Weg.
»Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet so wie du. Aber Phantombilder genügen nie als Beweis. Jeder meiner Erstsemester-Studenten kann dir bestätigen, dass Phantombilder bloß ein Hilfsmittel sind, um einen Verdächtigen festzunehmen. Mit solchen Bildern kann man niemanden eindeutig identifizieren.« Ron schüttelte den Kopf. »Du hast keinen schlüssigen Beweis dafür, dass Will das entführte Kind ist.«
Es war mehr oder weniger das Gleiche, was ihr Vater gesagt hatte.
Ron dozierte weiter. »Die erste Frage, die sich stellt, ist folgende: Bist du verpflichtet, deinen Verdacht der Polizei zu melden? Die Antwort: Nein, das musst du nicht.«
Auf dieses Problem war Ellen noch gar nicht gekommen.
»Das Gesetz verlangt von niemandem, Verbrechen zu melden, von denen man nicht sicher sein kann, ob sie überhaupt begangen wurden.«
»Gut.«
»Andererseits steht es dir natürlich frei, deinen Verdacht der Polizei mitzuteilen. Ich bin mir sicher, dass es von Timothy Braverman Fingerabdrücke, Bluttests oder DNA-Analysen gibt, anhand derer man feststellen kann, ob Will Timothy ist oder nicht.« Er spielte mit seinem Bart. »Wenn du zur Polizei gehst und dein Verdacht bestätigt sich, musst du damit rechnen, Will zu verlieren.«
Ellen verschlug es die Sprache. Ron beeilte sich, mit seinen Gedankenspielen fortzufahren.
»Falls sich aber dein Verdacht als falsch herausstellt, hast du noch mehr Leid und Schmerz über die Bravermans gebracht.«
Auch daran hatte Ellen noch gar nicht gedacht.
»Nehmen wir an, dass du recht hast: Will ist Timothy.«
Ellen missfiel schon allein der Gedanke.
»Lass es mich
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