Fatal - Roman
Will. Seine Augen blickten arglos über den Rand des Glases in seiner Hand.
»Noch zweimal, Kumpel.«
Will nahm einen Schluck Wasser und spuckte ihn aus. »Ist es so gut?«
»Ja. Und jetzt noch einmal.«
Sie wischte ihm mit einer Serviette das Kinn ab und stellte das Glas auf den Küchentisch. Sie legte die Hand auf seine kleine Schulter und sah ihm in die Augen. »Mach jetzt den Mund auf. Wie beim Doktor.«
»Tut das weh?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich werde jetzt ein bisschen in deinem Mund herumfahren.«
»Putzt du meinen Mund?«
»Ja.« In gewisser Weise.
»Wieso ist mein Mund schmutzig? Ich hab mir heute Morgen die Zähne geputzt.«
»Auf geht’s.«
Wie ein Vögelchen sperrte Will den Mund auf. Ellen strich mit dem Wattestäbchen über seine Mundschleimhaut. Dann nahm sie es heraus und legte es, wie in der Anleitung beschrieben, auf ein Blatt Papier zum Trocknen.
»Gut gemacht, mein Großer.«
Will wurde ungeduldig, er hüpfte auf und ab.
»Und jetzt das Ganze noch einmal, okay?«
»Warum?« Will machte brav den Mund noch einmal auf, und Ellen wiederholte die Prozedur.
»Wunderbar. Wir sind fertig.«
»Gibt’s jetzt Nachtisch?«
»Klar.«
Aber keinen Wackelpudding.
61
Ellen kam gerade aus der Dusche, als das Handy klingelte. Sie rannte ins Schlafzimmer. Das Display zeigte eine Nummer aus Philadelphia.
»Hallo?« Es war Marcelo. Ellen ließ sich aufs Bett sinken und zog ihren Morgenrock aus Chenille enger um sich.
»Hi.«
»Ich habe deine Nachricht erhalten, konnte aber bisher nicht zurückrufen. Bist du zu Hause?«
»Ja. Ich komme morgen wieder zur Arbeit. Wenn du Zeit hast, können wir gleich am Morgen das Problem mit Sarah bereden.«
»Das ist zu spät. Wenn es dir passt, komme ich heute Abend noch vorbei.«
Wow. Ellen sah auf die Uhr. Es war zehn nach neun. Will schlief fest.
»Gut.«
»Es ist kein privater Besuch«, fügte Marcelo hinzu. Ellen errötete.
»Ich verstehe …«
»Ich mache mich auf den Weg. In einer halben Stunde bin ich bei dir.«
»Ich freue mich.« Kaum hatte sie aufgelegt, stand sie auch schon vor ihrem Kleiderschrank. Viermal zog sie sich
um. Schließlich entschied sie sich für Jeans und einen hellblauen Pulli mit V-Ausschnitt. Doch statt eines gewöhnlichen Tops trug sie darunter ein elfenbeinfarbenes Spitzenhemd.
Und dabei hatte er ihr gerade klargemacht, dass es sich keineswegs um eine Verabredung handelte, bei der sie auf ihre Unterwäsche achten musste.
62
Als Marcelo an der Haustür klingelte, hatte Ellen gerade ihren verräterischen Sonnenbrand auf der Nase mit einem Abdeckstift zum Verschwinden gebracht. Ihr Haar war wieder trocken und hing lockig über die Schultern. Sie hatte Parfüm aufgetragen und sich die Augen geschminkt.
»Hallo«, sagte Marcelo. Er lächelte nicht.
»Schön, dich zu sehen.« Ellen wusste, dass sie ihn zur Begrüßung nicht küssen durfte. Aber ihm förmlich die Hand geben wollte sie auch nicht. So machte sie nur die Tür hinter ihm zu und sagte: »Gibst du mir deinen Mantel?«
»Das ist nicht nötig. Ich bleibe nicht lang.«
»Möchtest du etwas trinken?«
»Nein danke.«
»Willst du dich setzen?«
»Gern.« Marcelo nahm umständlich auf dem Sofa Platz, Ellen setzte sich schräg gegenüber in einen Sessel.
»Es ist besser, hier zu reden als im Büro. Wir haben uns
beide in eine schlimme Situation hineinmanövriert«, sagte Marcelo.
»Das tut mir alles so leid.«
»Ich weiß.« Marcelo wirkte angespannt und blickte ungewohnt streng. »Ich habe hin und her überlegt, wie wir da wieder herauskommen.« Er legte die Spitzen der Finger aneinander und beugte sich leicht nach vorn. »Was ich getan habe, hätte ich nicht tun dürfen … Dieser Kuss war ein Fehler. Entschuldige.«
Ellen schluckte. Sie war verletzt. »Du musst dich nicht entschuldigen. Und so schlimm war er auch nicht.«
»Doch. In dieser Situation schon.«
»Ich sehe da kein Problem.«
»Ich schon.«
War da ein Streit unter Liebenden im Gange, die sich noch nicht einmal geliebt hatten?
»Ich bin dein Redakteur. Wir können nie ein Paar werden. Finito.«
»Aber es hat doch erst angefangen.« Ellen war überrascht, wie sehr ihr die Auseinandersetzung ans Herz ging. »Wir können uns doch auch ohne Hintergedanken treffen.«
»Nein. Ich bin dein Chef. Niemals.« Er schüttelte den Kopf. »Um zum Punkt zu kommen: Ich habe meine Mitarbeiter angelogen. Das habe ich noch nie getan. Ich habe dich bevorzugt, weil ich dir einen Gefallen tun wollte. Auch
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