Fatales Vermächtnis
röchelnd nach Luft. Er hustete Wasser aus den Lungen, während sich die alte, verbrannte Haut durch die herüber wehenden Gischtschleier ablöste und darunter frische zum Vorschein kam.
Die Sonne in Lodriks Brust erlosch, die Sichelspitze hatte ihre Arbeit verrichtet. »Ich hoffe«, keuchte er,
»dass es stimmt, was Soscha sagte.«
Vahidin richtete sich auf und besah seinen Leib. »Ich war tot«, raunte er fassungslos. »Ich habe gespürt, wie das Leben aus mir wich, aber ...« Er schaute zu Lodrik. »Wie ist das möglich ?«
»Nicht nur die Zweiten Götter haben Hinterlassenschaft«»«^
sagte er absichtlich vage. »Dein Leben wurde bewahrt, weil du uns helfen musst. Du hattest eine Fürsprecherin, und ohne sie wärst
du so tot wie deine Töchter.«
Vahidin erhob sich und sah in die Brandung. »Du wirst sie ebenfalls aus dem Jenseits zurückholen, Bardric«, verlangte er.
»Deine Töchter bleiben, wo sie sind. Ich werde gar nichts tun, Vahidin. Du und deine Brut, ihr habt schreckliche Dinge getan und hättet noch weitaus Schrecklicheres begangen, wenn ich euch nicht daran gehindert hätte.« Lodrik stand ebenfalls auf.
Vahidin verzog den Mund. »Dann werde ich nicht gegen Zvatochna ...«
Lodrik schlug ihn ohne Vorwarnung nieder. Gerade noch gelang es Vahidin, sich abzufangen, sonst wäre er zurück in die See gestürzt. »Göttliche Macht brachte dich zurück ins Leben, und ich kann dir das Leben durch göttliche Macht ebenso leicht wieder nehmen. Es kostet mich lediglich einen Gedanken, und du wirst sterben, Vahidin«, drohte er ihm und gab sich Mühe, den jungen Mann mit seinen Worten überzeugend zu täuschen.
Soscha erschien neben Lodrik; sie hatte die durchscheinende Form gewählt. »Und ich werde deine Seele nicht ziehen lassen, das verspreche ich dir. Du wirst auf ewig mein Sklave sein, Vahidin. Wie gefällt dir die Vorstellung?«
Vahidin strich sich über den kahlen Schädel. Die Haare waren trotz der Heilung noch nicht nachgewachsen. Als er die magentafarbenen Augen zeigte, wirkte er erschreckend fremdartig und mehr wie ein Sumpfungeheuer. Erneut sah er dorthin, wo er die Leichen seiner Töchter vermutete.
»Ich werde darüber nachdenken«, antwortete er leise.
»Es bleibt keine Zeit zum Nachdenken.« Soscha schwebte zwischen sie. »Ich habe die Wolke gesehen, und ihre Anführerin ist Zvatochna.« Sie wandte sich an Lodrik. »Was ist geschehen? Hast du eine Erklärung?«
»Ja.« Lodrik erinnerte sich an das, was er über Nekromantie gelesen hatte. Und es schmeckte ihm keineswegs. »Sie hat noch
nicht verstanden, was ihr widerfahren ist, aber je länger wir warten, desto größer ist die Gefahr dass sie sich ihrer neuen Macht
gänzlich bewusst wird.«
»Neue Macht?«, stöhnte Soscha und nahm eine feste Form an.
»Kann es denn eine Steigerung geben?«
Lodrik fröstelte. »Nicht hier und jetzt. Wir sollten eine Hütte suchen und uns aufwärmen.« Er zog seinen Mantel aus und
reichte ihn Vahidin, damit er sich ihn umlegen konnte.
Vahidin löste widerwillig die Augen vom tosenden Meer, das seine letzten beiden Kinder verschlungen hatte. Die weißen
Punkte waren verschwunden, vermutlich auf den Grund gesunken. Der Verlust nahm ihn mit, was er nicht geglaubt hätte. Es war wohl die menschliche Seite in ihm, die Trauer empfand. Wortlos schritt er an Lodrik und Soscha vorbei zum Ufer. »Ich führe euch«, sagte sie und schwebte voraus. Es war ein langer Marsch an der verwaisten Küste entlang, bei dem sie oft klettern mussten. Am späten Nachmittag hatten sie ein kleines Dörfchen erreicht, das scheinbar verlassen war. Auf ihre Nachfrage im einzigen Gasthaus hin erfuhren sie, dass die kräftigen Bewohner zum eingestürzten Leuchtturm gelaufen seien, um nach dem Wärter zu suchen. Lodrik, Vahidin und Soscha nahmen sich ein Zimmer, man gab ihnen frische, trockene Kleidung, und sie setzten sich in die Stube neben den Kamin, um sich aufzuwärmen. Auch wenn es Sommer war, die See und der Wind waren an diesem Tag kalt gewesen und hatten sie ausgekühlt.
»Wie verhält es sich nun mit Zvatochna?«, wollte Soscha ungeduldig wissen. »Du weißt es, Bardric!«
Lodrik winkte den Wirt herbei und bestellte zwei Becher mit heißem Tee. Vahidins Blick war mörderisch, sobald er in seine Richtung ging. Anscheinend hatte er die Lüge über seine Fähigkeit, ihm jederzeit das gewährte Leben rauben zu können, geschluckt. Er betete zu Vintera, dass es lange so bliebe. »Ich habe einen Abschnitt darüber
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