Fatales Vermächtnis
Mi'in. »Gratulationen zum Sieg?«, fragte er amüsiert und ließ seine Garde Platz für die Verbündeten machen.
»Ja, höchster Kaiser. Es war ein gelungener Zug, das Geeinte Heer gegen die Angorjaner zu führen und es glauben zu lassen, es wären Eure Soldaten«, sagte Mi'in.
»Es hätte ebenso bei Kensustrianern und Nicti geklappt. Wenn sich Völker schon ähneln, sollte man es zu seinem Vorteil ausnutzen.« Nech grinste. »Für die ungebildeten Ulldarter sehen wir Angorjaner gleich aus: breit und schwarz.« Er wurde ernst. »Wo wart ihr?«
»Ihr meint, falls Euch eine Niederlage gedroht hätte und Ihr unseren Beistand benötigt hättet?« Mi'in lächelte vieldeutig. »Es waren genügend unserer Krieger in der Nähe, um eingreifen zu können. So oder so wärt Ihr als Sieger hervorgegangen. Allerdings wollten wir Euren Triumph nicht dadurch schmälern, indem wir
ohne Not eingriffen. Es war Euch doch recht, Allerhöchster Kaiser?«
»Schlaue Worte, Mi'in. Sehr schlaue Worte.« Nech versuchte anhand des schmalen, bronzefarbenen Gesichts zu ergründen, was sich hinter der glatten Fassade verbarg. »Es kann sein, dass ich Eure Krieger bald benötige. Die Ulldarter werden sich die Niederlage nicht gefallen lassen und ein zweites Heer aufstellen.« Er schaute zu den Leichen. »Die Quellen meines Bruders sind ergiebig. Das nächste Mal wird er zehnmal so viele Soldaten senden, um mich zu vernichten.«
»Wir werden da sein, um Euch beizustehen«, erklärte Mi'in ruhig.
Nech sah ihn an. »Ihr seid nicht nur deswegen zu mir gekommen?«
»Nein, Kaiser. Ich wollte Euch darauf vorbereiten, dass die Verhandlungen mit den Kensustrianern nicht sehr gut verlaufen sind. Sie gehen auf unsere Forderungen nicht ein, und von daher werden wir bis zum Herbst unsere Offensive einläuten, um sie ein für alle Mal zu vernichten.« Mi'in lächelte. »Wir benötigen Eure Soldaten, Allerhöchster Kaiser.«
»Wäre es nicht besser, wenn sie die Grenzen zu Ilfaris sichern ...«
»Es hat Euch niemand dazu gezwungen, Ilfaris einzunehmen. Wir haben eine Abmachung geschlossen, Allerhöchster Kaiser. Ihr wollt Kensustria nach unserem Abzug für Euch, so kommt und holt es Euch. Sollte ein anderer das brachliegende Land für sich ergreifen, habt Ihr das Nachsehen.«
Nech fluchte innerlich. »Ich habe neue Truppen aus Angor angefordert, doch ich weiß nicht, ob sie es bis zum Herbst schaffen.«
Mi'in verneigte sich. »Wir sehen uns bald wieder, Allerhöchster Kaiser, Und nochmals meinen aufrichtigen Glückwunsch zum Sieg.« Die Nicti drehten sich um und gingen.
»Wenn man sie nicht brauchte«, murmelte Nech und rammte seinem Pferd die Sporen in die Flanke. Er ritt zurück zu seinem Schlösschen, um den Erfolg gebührend mit seiner Gemahlin feiern. Die Zeit, sich Sorgen zu machen und neue Pläne zu schmieden, würde er sich morgen nehmen.
Kontinent Ulldart, Kensustria, Frühherbst im Jahr 2 Ulldrael des Gerechten (461 n.S.)
Tai-Sal Ib'annim befand sich in dem lang gezogenen Graben, in den sich die dreitausend Mann starke Einheit der Nicti seit der Verkündigung des Waffenstillstands zurückgezogen hatte. Um sie herum war jeder Baum, jeder Strauch gerodet worden, damit sich nichts und niemand an die Krieger anschleichen konnte. Es sah trostlos aus.
Durch sein Fernrohr betrachtete er die gegenüberliegende Festung der Kensustrianer: ein viereckiger Klotz, hoch wie acht Häuser, lang wie sieben Gespanne und tief wie vier. Die Steine waren derart perfekt verfugt, dass sich keine Lücken zeigten, und die vielen Luken mit den eisernen Klappen davor versprachen viele unliebsame Überraschungen.
»Mir ist schleierhaft, welche Aufgabe wir bei dem Angriff übernehmen«, sagte der Tai-Sal und setzte das Fernrohr ab. »Ich wüsste nicht, wie man dieses Bollwerk selbst mit einer Batterie Katapulte in die Knie zwingen sollte.«
»Nicht an einem Tag, Tai-Sal«, erwiderte Mi'in. Er lehnte neben ihm und musterte den Angorjaner. Ib'annim kniff die Mundwinkel zusammen. »Ich bin mit meinen zweitausend Mann am völlig falschen Ort«, befand er. »Es sind Krieger, die den offenen Kampf und das Schlachtfeld bevorzugen.«
»Heißt das, dass es auf Angor keine Festungen gibt?«, staunte Mi' in. »Eure Heere rennen sofort gegeneinander an und entscheiden am ersten Tag, wer Sieger ist?«
»Es gab seit mehr als dreihundert Jahren mehr keinen Krieg der
Angorjaner untereinander.«
»Oh. Wie schade, dass sich die Brüder nicht einig geworden sind«, bedauerte
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