Fauler Zauber
Während die Austauschschülerin die Ohrringe anlegte, zog Sabrina den Spiegel der Wahrheit aus dem Rucksack. Dann setzte sie sich neben Mei aufs Bett, damit sie genau sehen konnte, wie deren Gesicht im Spiegel aussehen würde.
„Schau her“, sagte Sabrina.
Begierig griff Mei nach dem Spiegel, um sich darin zu bewundern. Sabrina hielt ihn ihr hin, denn sie würde ihn nicht aus der Hand geben.
Jetzt kommt die Wahrheit heraus, dachte Sabrina. Sie schielte ebenfalls in den Spiegel, als Mei in das magische Glas blickte.
Ein lächelndes Gesicht war darin zu sehen, aber es war nicht das eines dunkelhaarigen Mädchens.
Es war das haarige Gesicht eines dunkelbraunen Fuchses!
Die Augen zwischen den spitzen braunen Ohren hatten die gleiche dunkelbraune Färbung wie Meis Augen. Eine dunkelrote Zunge hing zwischen den großen spitzen Zähnen.
Das Lächeln gefror auf Meis Gesicht. Einen Augenblick war sie so still, als hätte sie aufgehört zu atmen.
Dann schrie sie – es war ein unheimlicher hoher Schrei.
Knacks!
Das Spiegelglas zersprang und sah jetzt aus wie ein Spinnennetz.
Doch das war egal. Denn der Zauber hatte gewirkt. Sabrina hatte die Wahrheit gesehen in dem Spiegel.
Mei war ein chinesischer Fuchs!
„Jetzt hab ich sie!“, flüsterte Sabrina.
Mei sprang auf und schenkte Sabrina ein seltsames Grinsen, das fast wie ein wütendes Funkeln aussah. Sie hatte so etwas noch nie gesehen.
Eine Sekunde später schimmerte Mei wie heiße Luft auf kochendem Asphalt. Und das hübsche junge Mädchen verwandelte sich in einen glänzenden braunen Fuchs.
Sabrinas Herz machte einen Sprung. Ihr Hexen-Ich hatte genug magische Fähigkeiten in den Fingerspitzen, aber ihr menschliches Ich erschrak, als sie auf die geifernden Lefzen des Fuchses starrte.
Als sie noch klein gewesen war, hatte sie Rotkäppchen und der böse Wolf gelesen.
Okay, das Tier in dem Märchen war kein Fuchs gewesen, sondern ein Wolf, dachte Sabrina. Aber was spielt das für eine Rolle, wenn die scharfen Zähne nur Zentimeter von deiner Nase entfernt sind.
Doch der Fuchs stürzte sich weder auf Sabrinas Nase, noch biss er hinein. Er tat etwas viel Seltsameres.
Er beugte die Vorderpfoten und senkte den Kopf. Es sah beinahe so aus, als ob er sich anerkennend verneigen würde.
Bevor Sabrina ein Wort herausbringen konnte, drehte er sich um und sprang durch Libbys Fenster in den rückwärtigen Garten.
Ein hübscher Trick, zumal das Fenster geschlossen war.
Verwundert schüttelte Sabrina den Kopf. Sie lief zum Fenster und schaute hinaus.
Der Fuchs war verschwunden.
7. Kapitel
Nun aber los!
Sabrina trat in die Mitte des Zimmers. Ich muss herausfinden, warum dieser Fuchs mich belästigt, damit ich ihn stoppen kann!
Schnell steckte sie den gesprungenen Spiegel in ihren Rucksack und hoffte, dass ihr das kaputte Glas kein Unglück bringen würde, so wie der sprechende Spiegel, den sie einmal zerbrochen hatte. Eine Woche voller Katastrophen war die Folge gewesen.
Allerdings hatte ja nicht sie selbst den Spiegel zerbrochen. Meis gespenstischer Schrei war dafür verantwortlich.
Sabrina streckte die Hand über den Kopf und wollte sich gerade in ihren Garten zu Hause zurückzaubern, als Libby ins Zimmer stürmte. „Was machst du hier, du Freak?“, keifte sie. „Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht rein darfst. Hast du irgendwas angefasst?“ Sie schaute sich um und wurde blass. „Wo ist Mei?“, wollte sie wissen.
Sabrina zuckte mit den Schultern. „Sie, äh... musste verschwinden.“
„Wie bitte?“, kreischte Libby. „Wohin verschwinden?“
„Würde ich auch gerne wissen“, antwortete Sabrina ehrlich.
„Das würde sie nicht tun“, betonte Libby wütend. „Nicht, ohne mir ein Wort zu sagen. Wir wollten nämlich meine Schuhe katalogisieren, wenn wir mit den Accessoires fertig sind.“
Geh nicht darauf ein, sagte Sabrina sich. Da Libby hier war, würde sie den Weg der Sterblichen nehmen, nämlich durch die Tür. Außerdem musste sie sich beeilen, wenn sie den Fuchs noch erwischen wollte.
„Bleib stehen!“, befahl Libby Sabrina, die an ihr vorbeischlüpfte und in die Eingangshalle marschieren wollte. „Was ist mit Mei? Wenn sie deswegen abgehauen ist, weil du irgendwas zu ihr gesagt hast...“
„Ich schwöre, es hat nichts damit zu tun, was ich gesagt habe“, erwiderte Sabrina. Dann stürzte sie durch die Tür, durch das Flurlabyrinth und stand schließlich draußen vor der Eingangstür.
Inzwischen wurde es langsam dunkel. Das
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