Fauler Zauber
Nachforschungen auf dem ersten Bauernhof an der Straße zu dem Anwesen, in dem Junior gefangengehalten worden war. Doch keiner hatte an dem Tag, an dem Karl angeblich freigelassen worden war, einen jungen Mann zu Fuß vorbeilaufen sehen. Und es war auch ganz bestimmt keiner vorbeigekommen, um sich eine Kutsche oder einen Gaul zu leihen.
Hatte ich erwartet. Er hätte es niemals so nah an seinem Unterschlupf gewagt, aber ich mußte auch diese Möglichkeit ausschließen. Es war wie der Griff nach dem berühmten Strohhalm. Ich hatte nichts Konkretes vorzuweisen, was meinen Verdacht bestätigt oder entkräftet hätte.
Wo ich anklopfte – überall bekam ich die gleiche Antwort. Einige plauderten bereitwillig, andere nicht, je nach Fasson. Doch unterm Strich kam immer dasselbe heraus. Niemand hatte ein Transportmittel – ganz gleich welcher Art – erbettelt, gekauft, geliehen, gemietet oder gestohlen.
Gegen Mittag war ich allmählich bereit, meine Annahmen neu zu überdenken.
Vielleicht war Karl Junior tatsächlich nach Hause gelaufen. Barfuß. Oder er hatte sich mitnehmen lassen oder eine der Kutschen angehalten, die zur Stadt unterwegs waren.
Das war ziemlich unwahrscheinlich. Ein Fußmarsch, ein Diebstahl oder eine Postkutschenfahrt brachten einige Schwierigkeiten mit sich. Sie verrieten die Person und hinterließen Spuren. Kutscher erinnern sich gewöhnlich an Leute, die sie von der Straße auflesen.
Per Anhalter zurückzukommen schien die beste und logischste Alternative zu sein. Jedenfalls hätte ich diesen Rückweg in die Stadt gewählt. Aber ich bezweifelte, daß ein verwöhntes Kind aus der Oberstadt sich auf die Nächstenliebe von Fremden verließ.
Sollte er trotzdem auf diesem Weg nach Hause gelangt sein, standen meine Chancen, die hilfreiche Mitfahrgelegenheit zu finden, noch schlechter, als sie es schon jetzt bei meiner Suche nach gestohlenen oder geliehenen Transportmitteln waren. Letzterer Möglichkeit gab ich eindeutig den Vorzug. Wäre er getrampt, hätte er es erwähnt. Er hatte sehr sorgfältig jedes kleinste solcher Details geschildert.
Ich neigte mittlerweile sehr stark zu der Annahme, daß Karl bei seiner Entführung kräftig mitgemischt hatte. Ich durfte mich nur nicht so sehr in diese Meinung verrennen, daß ich Entlastungsbeweise übersah.
Das Bild erinnerte mich an meine Soldatenzeit. Der Bauer, seine Söhne und ein Dutzend weiterer Leute arbeiteten sich gestaffelt durch ein Weizenfeld und schwangen rhythmisch ihre Sensen. Sie sahen aus wie Krieger, die langsam näher kamen. Ich blieb stehen und sah ihnen einige Minuten zu. Sie bemerkten mich, ließen sich aber nichts anmerken. Der Familienvorstand blickte kurz in den bewölkten Himmel und befahl dann weiterzumähen.
Einverstanden. Das Spiel konnte ich mitspielen.
Ich sprang von der Kutsche und ging zum Rand des Feldes, an dem das Heu bereits gemäht war, nur um zu zeigen, daß ich nicht gedankenlos war. Ich näherte mich den Leuten von der Seite. Frauen und Kinder rafften das Heu in Garben zusammen und banden es auf den Rücken von Eseln, die genauso neugierig waren wie ihre Besitzer. Ich warf ihnen im Vorbeigehen ein ›Wie geht's?‹ zu, mehr nicht. Es gab Bauerngatten, die jedes weitere Wort als heftige Anmache betrachteten.
Ich baute mich in sicherer Entfernung vor dem Burschen auf, der in dieser Herde der Leithammel zu sein schien, und wiederholte meinen Gruß.
Er grunzte und schwang die Sense weiter, was mir nur recht war. Ich wollte ja schließlich niemandem zur Last fallen.
»Sie könnten mir möglicherweise helfen.«
Diesmal war dem Grunzen ein deutlich zweifelnder Unterton anzuhören.
»Ich suche einen Mann, der vor vier oder fünf Tagen hier vorbeigekommen sein muß. Vielleicht hat er versucht, ein Pferd zu kaufen oder zu mieten.«
»Wozu?«
»Um ihn für das zur Rechenschaft zu ziehen, was er meiner Frau angetan hat.«
Er drehte den Kopf, ohne aus dem Rhythmus zu kommen. Sein Blick gab mir deutlich zu verstehen, daß ich nicht das Recht hätte, um Hilfe zu bitten, wenn ich nicht Manns genug sei, auf meine Frau aufzupassen.
»Er hat sie umgebracht. Ich habe es erst gestern erfahren. Sie ist da drüben in der Kutsche, weil ich sie zu ihrer Familie bringen will. Wenn ich das erledigt habe, will ich mir den Kerl schnappen.«
Der Bauer hielt mit Sensen inne und sah mich blinzelnd an. Offenbar hatte er zu oft in die Sonne gesehen. Die anderen Sensenmänner machten ebenfalls Pause und stützten sich auf ihre Sensen
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