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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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sorgfältig eine der Türen, die in die gefluteten Gewölbe führten. Die Öllampe, die nur wenig Licht spendete, schaukelte an einem Nagel hin und her und weckte die Schatten in den Scharten und Winkeln. Der Keller war kein schöner Ort, und Jade war sicher, dass sich die Geister der unglücklichsten Toten hierher geflüchtet hatten. Das Unangenehmste aber war der Geruch. »Es stinkt nach Kerker«, sagte Jakub, jedes Mal wenn er aus diesen Katakomben wieder ans Tageslicht kroch.
    Jade zog ihre Schuhe aus und trat von der Treppe in das kniehohe Wasser. Der Algenrasen unter ihren Sohlen war schleimig und glatt, und als sie den ersten Schritt machte, spürte sie, wie ein Aal sich um ihre Knöchel schlang und dann die Flucht ergriff. Jakub hatte sie noch nicht bemerkt. Er brummte etwas in seinen Bart, als würde er mit den Geistern flüstern, drehte den Schlüssel im Schloss, das nur knirschend nachgab, und rüttelte an der Klinke. Es war seltsam, dass Jakub ausgerechnet an dieser Tür stand. Dahinter waren so viel Zerfall und Wasser und auch Strömung, dass Jakub sie aus Sicherheitsgründen schon vor Jahren fest verschlossen hatte.
    »Was machst du da?«
    Obwohl Jade es besser wissen musste, erschrak sie beim dumpfen Klang ihrer eigenen Stimme. Ihr Vater fuhr herum.
    »Ach, du bist es.« Vor Erleichterung sackte er regelrecht in sich zusammen. »Wurde auch Zeit, dass du wieder auftauchst.«
    »Hast du etwa die blinde Tür aufgemacht?«
    Jakubs Gesicht verdüsterte sich. »Nur kontrolliert«, erklärte er ausweichend. »Einmal reingeschaut, ja, wollte sehen, wie weit die Wila hier schon gekommen ist.«
    Seine Worte klangen logisch, der Tonfall aber sagte etwas anderes: Frag nicht. Es geht dich nichts an.
    Jade gab es einen kleinen Stich. An manchen Tagen fühlte es sich so an, als würde Jakub in einem ganz anderen Haus leben, zu dem sie keinen Zutritt hatte. Und was sie durch die Wände hörte, erschien ihr dumpf und kaum verständlich.
    »Und warum schließt du hier im Keller Türen ab?«, fragte sie vorsichtig.
    »Die Lady kann mit meinem Fahrstuhl machen, was sie will, aber ich möchte nicht, dass jemand in meinen Kellerräumen herumschnüffelt. Wenn einer dich danach fragt, sag, dass alles vollgelaufen ist und vor Vipern wimmelt, verstanden?«
    Jade nickte zögernd. »Sagst du mir jetzt, was da oben los ist?«
    Jakub verstaute seine Schlüssel in der Hosentasche und nahm die Lampe vom Nagel.
    »Die Lady hat das ganze vierte Stockwerk eingefordert – ausdrücklich das vierte, weil es die größten Zimmer hat. Und dazu noch ein paar andere Räume. In einer Woche haben wir hier mindestens zwei Dutzend Gäste. Die beiden Händler musste ich wegschicken, es soll kein anderer Gast im Haus sein.«
    Er seufzte tief und fuhr leiser fort: »Ich kann nicht behaupten, dass ich begeistert bin. Die Gunst der Lady kann beides bedeuten: Reichtum und Ehre oder Folter und Tod. Und auf welche Seite die Waage sich neigt, entscheidet manchmal nur das Gewicht einer Feder.«
    Hier im düsteren Keller bekamen die Worte ein beängstigend schweres Gewicht.
    »Du denkst wieder oft daran, nicht wahr?«, fragte Jade. »An den Krieg und an unsere Flucht.«
    Jakub sah sie nicht an, er starrte nur ins Wasser und runzelte die Stirn.
    »Manchmal … erinnere ich mich auch«, tastete sie sich weiter vor. »An Feuer. Und Kälte. Und an ein Weinen. Wer hat damals geweint, Jakub?«
    »Wie oft willst du mich noch danach fragen?«, erwiderte Jakub. »Du warst es. Du hast in einer leeren Teertonne ausgeharrt. Normalerweise konnte man dich nicht still bekommen, aber an dem Morgen, als unser Haus geplündert wurde, hast du keinen Mucks von dir gegeben, bis ich dich holte. Sobald wir in Sicherheit waren, bist du in Tränen ausgebrochen.«
    Jade konnte kaum verbergen, wie enttäuscht sie war. Wie oft hatte sie dieselbe Geschichte gehört und auch heute schien die Vergangenheit sie zu verhöhnen. Morgen. Teertonne. In Jades Erinnerung war es stets Nacht. Und sie roch nicht den getrockneten Teer, sondern etwas Modriges, Nasses, wie Herbstlaub.
    »Aber da hat doch noch jemand anderes geweint …«, beharrte sie.
    »Willst du etwa sagen, ich sei ein Lügner?«, rief Jakub. Die Ader an seiner Stirn war hervorgetreten, sein Gesicht war zornrot.
    »Nein«, sagte Jade ruhig. »Aber ich weiß, woran ich mich erinnere.«
    »Erinnerungen sind trügerisch. Du warst noch nicht einmal zwei Jahre alt. Weiß der Himmel, was sich in einem Kinderkopf zu neuen Bildern formt.

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