Fear
Toilette. Er packte ihre Arme und zog sie hoch, und er klammerte sich an die Überzeugung, dass sie es schaffen würde. Ihr Kopf war nicht länger als ein paar Sekunden unter Wasser gewesen.
Jetzt war wieder der Schultertragegriff angesagt. Im Kellerraum hatte er mehr Platz zum Manövrieren, aber das Wasser stand hier inzwischen so hoch, dass von den Möbeln nichts mehr zu sehen war. Er musste vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen und sich einen Weg zwischen den überfluteten Sofas hindurchbahnen.
Endlich hatte er die Treppe erreicht. Seine Finger pochten vor Kälte, als er das Geländer packte, und seine Beine fühlten sich an wie aus Gummi, als sie langsam aus dem Wasser auftauchten. Für jeden Schritt musste er seine ganze Willenskraft zusammennehmen, doch die Belohnung waren wieder ein paar Zentimeter mehr trockene Luft.
Dann war er oben, klatschnass und zitternd, selbst der Ohnmacht nahe. Aber der eigentliche Kampf stand ihm erst bevor: Wenn er wollte, dass sie überlebte, brauchte er Davys Hilfe.
Er wankte in die Diele, als Fenton gerade aus dem Wohnzimmer kam. An Verstecken war nicht zu denken, also versuchte Joe es gar nicht erst.
»Holen Sie ein paar Decken«, blaffte er.
Fenton starrte ihn nur entgeistert an. Dann ging die Tür auf, und Leon kam heraus. Er überschüttete Fenton mit Verwünschungen – bis ihm der Schreck über Joes Anblick die Sprache verschlug.
86
Leon glotzte ihn an. »Sie sind tot.« Es war mehr eine Feststellung als eine Drohung. Dann fuhr er wieder Fenton an. »Du hast mich angelogen, du Schwein …«
Joe ignorierte beide und legte die Frau vorsichtig auf dem Boden ab. Er zog seine Jacke aus und deckte sie damit zu – aus Gründen des Anstands ebenso sehr wie wegen der Wärme, die sie vielleicht spenden konnte.
»Hatten Sie etwas damit zu tun?«
Fenton blinzelte mehrmals und gab sich zutiefst entrüstet: »Ganz bestimmt nicht!«
»Dann helfen Sie mir. Wenn wir nichts gegen die Unterkühlung tun, wird sie sterben.«
Fenton nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und nach einem unbehaglichen Blick in Leons Richtung eilte er die Treppe hinauf.
»Wie heißt sie?«, fragte Joe. Ihm fiel auf, dass Leon seinen rechten Arm an den Körper gedrückt hielt. Das Handgelenk war enorm angeschwollen. »War das Patrick? Wo ist er?«
Leon fand etwas von seiner Zuversicht wieder. »Er wird bald tot sein. Es wird ihm ergehen wie Derek Cadwell – und jedem, der es mit mir aufnehmen will.« Aber er schaffte es nicht ganz, Joe in die Augen zu sehen, als er hinzufügte: »Was ist mit Reece passiert?«
»Er kommt nicht wieder. Und die anderen auch nicht.« Joe ließ die Information eine Weile wirken, dann sagte er: »Ich habe Kamila gefunden.«
»Was?«
»Ich habe ihre Leiche im Tunnel gesehen. Wann haben Sie sie ermordet?«
Leon zuckte zusammen, ein Auge schloss sich unwillkürlich wie als Reaktion auf einen jähen Schmerz in seinem Kopf. »Ich habe Kamila nie gesehen.« Er deutete auf die Frau auf dem Boden. »Wer zum Teufel ist die da?«
»Tun Sie nicht so, als ob Sie das nicht wüssten. Ich habe sie gerade aus Ihrer Zelle gerettet.«
»Zelle? Was für eine Zelle?«
»In dem Tunnel unter dem Haus. Sie haben Glenn gesagt, es sei ein Tresorraum.«
Irgendwie brachte Leon es fertig, zugleich beunruhigt und vollkommen verständnislos dreinzuschauen. Er zuckte wieder, wollte die rechte Hand ans Gesicht heben und merkte erst dann, dass sie für eine solche Bewegung zu schwer verletzt war. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Warum sollte ich in einem verdammten Tunnel rumkriechen?«
Fentons schwere Schritte ließen die Treppe erzittern, als er herunterkam, beladen mit Handtüchern, einer Bettdecke und zwei Wärmflaschen.
»Ich habe sie am Warmwasserhahn gefüllt. Nicht ideal, aber ich dachte, so geht’s schneller.«
Joe legte die Bettdecke auf eine trockene Stelle am Boden, hob die Frau darauf, platzierte die Wärmflaschen unter ihren Armen und wickelte ihr dann die Decke um den Leib. Er fühlte ihr den Puls, kontrollierte ihre Atmung und kam zu dem Schluss, dass sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr war.
Leon sah ihm vom anderen Ende der Diele aus zu. Er griff nicht an, zog sich aber auch nicht zurück. Joe fand seine Haltung verwirrend. Was konnte er sich in diesem Stadium noch davon erhoffen, dass er alles ableugnete?
Eine kleine Stimme in seinem Kopf hatte die Antwort darauf parat, doch Joe wollte sie nicht hören.
Nicht genug, dass Leons Welt aus den Fugen
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