Fear
erwarte. Er wäre vor Schreck fast tot umgefallen. Seine Mutter, die Gute, hat mir ein Dach über dem Kopf gegeben und Glenn mehr oder weniger gezwungen, zu seiner Verantwortung zu stehen.«
Joe nickte. Es wäre taktlos gewesen anzudeuten, dass die Beziehung von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, aber das schien die logische Schlussfolgerung zu sein.
»Er hat es dann gerade noch rechtzeitig eingesehen. Heute weiß ich natürlich, dass er sich immer schon seine kleinen Abwechslungen gegönnt hat, wenn ihm gerade danach war. Und seine Mutter konnte sehen, dass ich einen positiven Einfluss auf ihn hatte. Ich habe ihn ermutigt, seine Lehre abzuschließen, und nach ein paar Jahren hat er sich dann selbstständig gemacht.«
»Und was war mit Ihnen? Mit Ihren Plänen für die Universität?«
»Die wurden auf Eis gelegt.« Ellie schenkte ihm ein bitteres Lächeln. »Vor einigen Jahren habe ich endlich doch noch meinen Abschluss gemacht, an der Fernuniversität. Nicht ganz der von Künstlerseelen bevölkerte Sündenpfuhl, von dem ich geträumt hatte, aber was soll’s? Ich hatte Alec, und ich hätte ihn gegen nichts auf der Welt eintauschen mögen. Im Leben läuft nicht immer alles nach Plan …« Sie stockte – offenbar sah sie etwas in Joes Gesicht, das ihm selbst nicht bewusst war. »Sie sind wahrscheinlich der Letzte, dem ich das erzählen muss, vermute ich mal.«
»Da könnten Sie recht haben.« Um möglichst rasch das Thema zu wechseln, sagte er: »Jetzt verstehe ich, warum Sie eine so entschiedene Meinung zu Alise und ihrer Schwester haben.«
Ellie nickte. »Ich nehme an, dass meine natürlichen Sympathien eher zu Kamila tendieren. Als Alise mir die Geschichte erzählte, dachte ich mir nur: Vielleicht will sie ja nicht mit dir sprechen. Vielleicht will sie gar nicht gefunden werden. Für die Familie einer Ausreißerin ist es ungeheuer schmerzhaft, das zu akzeptieren, aber manchmal ist es ganz einfach so.«
»Sie glauben wirklich, dass Kamila ihre Schwester bewusst ignorieren könnte?«
»Unbedingt. Wenn man einmal den Sprung gewagt hat, braucht es sehr viel Entschlossenheit, um nicht wieder zu Hause angekrochen zu kommen. Da genügt oft ein einziger Anruf oder eine SMS, um alle Ihre Vorsätze zunichtezumachen.«
»So hatte ich das noch gar nicht gesehen«, sagte Joe. »Na ja, das sind jetzt ohnehin hypothetische Überlegungen.« Er schilderte ihr die Nachricht, die er von Alise bekommen hatte. Bevor Ellie die Neuigkeit als Beweis für ihre Theorie vom blinden Alarm reklamieren konnte, fügte er hinzu: »Und dabei hat sie mir noch einen Tag vorher die Daten von diesem Kerl geschickt, mit dem Kamila ursprünglich durchgebrannt war. Warum sollte sie das tun und dann plötzlich die Suche aufgeben?«
Ellie war perplex. »Da haben Sie recht. Das ergibt keinen Sinn. Was werden Sie jetzt tun?«
»Ich glaube nicht, dass ich allzu viel tun kann .«
»Wenn Sie die Daten von diesem Mann haben, sehe ich keinen Grund, warum Sie Ihre Nachforschungen nicht fortsetzen sollten.«
»Denken Sie, dass ich das tun sollte?«
»Ich weiß es wirklich nicht.« Sie neigte ihr Glas leicht zu ihm hin. »Aber ich spüre, dass Sie es wollen, und deshalb will ich Ihnen die Entscheidung erleichtern.«
Joe konnte sich das Lachen nicht verkneifen. »Sie sind mir immer zwei oder drei Schritte voraus. Ich weiß es nicht. Vielleicht mache ich’s wirklich.«
Ellie setzte sich auf und nahm einen Schluck Wein. »Jetzt wollen wir erst mal essen. Und die nächste Flasche aufmachen. Vielleicht finden wir ja im Wein die Antworten auf unsere Fragen.«
Es gab ein köstliches Rindfleisch-Stifado mit Salat und Baguette. Sie aßen im Esszimmer, das so wirkte, als sei es für besondere Anlässe reserviert. Hier gab es viele Familienfotos, darunter auch eines von Ellie als junge Mutter, die fast selbst noch wie ein Kind aussah.
»Ich bin ein bisschen verwirrt, was die zeitliche Abfolge betrifft«, sagte Joe, als sie mit dem Hauptgang fertig waren. »Ihre Trennung von Glenn, dann Glenns Wechsel zu Leon und seine Affäre mit Diana – war das alles etwa zur gleichen Zeit?«
»Und gibt es einen Zusammenhang? Das fragen Sie sich doch.« Ellie schloss die Augen, während sie in ihrem Gedächtnis kramte. »Ich glaube, der Job im B&B kam zuerst, und bei der Gelegenheit hat er natürlich Diana kennengelernt.«
»Diana und Roy waren gerade hierhergezogen?«
»Sie waren jedenfalls noch kein Jahr hier. Die Arbeiten dauerten ein paar Monate, mit
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