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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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derer, die gefehlt hatten oder verspätet erschienen waren. Sie wurde an eine Wand gehängt, damit alle sie sehen konnten. Am Anschlagbrett wurden auch die Prüfungsergebnisse bekannt gegeben, und dass ich zu den Besten meiner Klasse gehörte, trug mir zusätzliche Achtung ein.
    Als das erste Schuljahr zu Ende ging, verteilten die Lehrerinnen Zeugnisse, die sie mit Kommentaren versehen hatten. Normalerweise hieß es da: »Vermag das Banner des Maoistischen Denkens hochzuhalten« oder »Hat fleißig gelernt«. Meine Lehrerin fügte jedoch einen speziellen Kommentar hinzu: »Ein Mädchen vom Land, das gelernt hat, Schuhe zu tragen«.

Kapitel 47
    Z u unseren Aufgaben als Kader des Kommunistischen Jugendverbandes gehörte es auch, die Familien von Mitschülern zu Hause zu besuchen. Wir sollten uns mit den Eltern über schulische Belange unterhalten, gleichzeitig aber auch auf »Unregelmäßigkeiten« in der häuslichen Umgebung achten und diese höheren Kadern des Verbandes melden. Bei jedem Hausbesuch sollten wir mindestens zu zweit sein. Meine ersten Besuche verliefen ohne besondere Ereignisse. Gewöhnlich begrüßten uns die Eltern sehr förmlich und hörten sich unsere Berichte über die schulischen Leistungen ihrer Kinder an. In den Wohnungen schien alles in Ordnung zu sein – keine verdächtigen Bücher oder Bilder und auch sonst nichts, was Zweifel hätte wecken können, dass es sich um vorbildliche Staatsbürger handelte.
    Als ich jedoch zum vierten Mal Wochenendhausbesuche machte, erlebte ich eine erschütternde Begegnung. Mit meiner Begleiterin Xu Yuqing hatte ich bereits ein halbes Dutzend Familien aufgesucht. Am Spätnachmittag sollten wir noch bei einem Mädchen namens Zhou Jing vorbeischauen. Ihr Name bedeutete »Kristall«. Sie zählte zu den besten Schülerinnen unserer Klasse. Zwar meldete sie sich nie, aber wenn sie aufgerufen wurde, wusste sie stets die richtige Antwort. Sie war sehr schüchtern und still und hatte keine Freunde.
    Obwohl wir ihre Adresse hatten, suchten wir die Wohnung zunächst vergeblich. Schließlich wurden wir in einem Wohnheim der Wuhu-Textilfabrik fündig. Die Arbeiter wohnten in langen, niedrigen kasernenartigen Gebäuden mit Backsteinmauern und Ziegeldächern. An den Längsseiten befanden sich Dutzende von Türen, und hinter jeder wohnte eine Familie. Als wir an Zhou Jings Tür klopften, öffnete sie selbst und bat uns herein. Wir betraten einen kleinen, spärlich erleuchteten Raum. Der Platz reichte gerade für zwei Betten, einige aufeinandergestapelte Schrankkoffer in einer Ecke und einen Kohleofen. Mir fiel sofort auf, wie sauber und aufgeräumt das Zimmer war. Die Betten waren gemacht, der Boden war gefegt, und hoch oben an der Wand hing ein Porträt des Vorsitzenden Mao.
    Zhou Jing setzte sich auf eines der Betten und bot uns das andere als Sitzgelegenheit an. Als wir Platz genommen hatten, bemerkte ich eine Frau, die in einer Ecke im Schatten stand. Still gesellte sie sich zu Zhou Jing aufs Bett. Als sie näher kam, zuckte ich zusammen. Ihr Äußeres war grauenerregend. Die ganze rechte Gesichtshälfte bestand aus einer einzigen rot-blauen Narbe. Das rechte Auge war blutunterlaufen und tränte. Dagegen sah ihre linke Seite sehr hübsch aus, und auch das Auge war ganz normal. Ich starrte sie mit offenem Mund an. Am liebsten wäre ich aufgestanden und geflohen.
    Wortlos saßen wir da. Die Frau betrachtete mich und meine Begleiterin. Unser Entsetzen entging ihr nicht. Schließlich fragte sie leise: »Ja?«
    »Ich heiße Wu Yimao«, brachte ich heraus. Dann musste ich mich räuspern. »Und das … das ist Xu Yuqing. Wir sind Kader aus Zhou Jings Klasse und wollten ihre Familie besuchen«, erklärte ich mit bebender Stimme.
    Zhou Jing fügte verlegen hinzu: »Sie sind in meiner Klasse, Mama.«
    Ich war so schockiert vom Anblick der Frau, dass ich nur noch ihr Gesicht angaffen konnte: diese verstörende Mischung aus Schönheit und Hässlichkeit.
    Nach einer langen, peinlichen Pause ergriff Xu Yuqing das Wort: »Wir wollten dir sagen, dass Zhou Jings schulische Leistungen hervorragend sind. Und sie nimmt auch mit großem Engagement an den schulischen Aktivitäten teil.«
    »Das freut mich«, entgegnete ihre Mutter. »Danke, dass ihr gekommen seid. Wir haben noch nie Besuch gehabt. Entschuldigt, dass ich nervös bin. Ihr seid Kader, wichtige Leute.«
    Sie wartete auf eine Erwiderung, aber keine von uns brachte ein Wort heraus. Als die Frau merkte, dass es uns die Sprache

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