Feenkind 2: Im Reich der Feen (German Edition)
noch sehr lange warten müssen."
"Das heißt wohl, ich muss los", stellte Dhalia gefasst fest.
"Willst du noch immer dem Herrscher gegenübertreten?"
"Ja."
"Dann tu mir bitte den Gefallen und öffne die rote Perle, bevor du das tust."
"Versprochen", nickte Dhalia lächelnd. "Ich verspüre nämlich keinerlei selbstmörderische Neigungen."
"Jede Mutter wäre froh, dies aus dem Mund ihrer Tochter zu hören." Melinas Augen blitzten amüsiert auf. Dann wurde sie wieder ernst. "Natürlich wäre es mir viel lieber, du würdest es ganz lassen."
"Ich kann nicht." Entschieden schüttelte Dhalia ihren Kopf.
"Ich weiß", seufzte die Mutter. "Du wärst nicht unsere Tochter, wenn dir das Schicksal anderer gleichgültig wäre." Sie streckte ihre Hand aus und legte sie an Dhalias Wange. "Wir werden immer bei dir sein, Elea." Ihre Gestalt begann zu verblassen.
"Warte!" schrie Dhalia erschrocken auf. "Wie komme ich wieder zurück?"
"Du musst es nur wollen, siehst du?" Ihre Mutter deutete auf die Stelle hinter ihr, wo sich wieder ein Portal zu öffnen begann.
"Danke. Danke für alles." Dhalias Stimme versagte und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.
"Leb wohl, meine Tochter." Ihre Mutter nickte ihr zum Abschied aufmunternd zu. "Blicke immer nach vorn, schau nicht zurück. Aber vergiss nie, woher du gekommen bist." Diese Worte klangen noch in Dhalias Ohren nach, als sie durch das Portal hindurch schritt.
Im nächsten Augenblick wurde sie von gleißendem Sonnenschein geblendet.
Sie brauchte eine Weile, bis ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten. Sie stand wieder am Ufer des kleinen Teichs mit der warmen Quelle. Ein leichter Wind spielte mit ihren Haaren und ließ ihre Flügel sanft flattern. Ihre Flügel! Erst jetzt fiel Dhalia auf, dass sie noch immer das luftige Gewand ihrer Mutter trug. Einen Moment lang wollte sie umkehren, aber dann tat sie es doch nicht. Vielleicht war es bei dem, was sie vorhatte, besser, wenn alle sehen konnten, wer sie war. Außerdem fühlte sie sich durch das Gewand auf eigentümliche Weise mit ihrer Mutter verbunden.
Da war sie nun also - eine junge Fee mit halb ausgebildeten Fähigkeiten und einem Ziel. Sie überlegte gerade, ob sie sich den Flug zum Herrscherpalast zutrauen konnte, vorausgesetzt natürlich, sie fand heraus, in welcher Richtung er überhaupt lag, als ein helles Wiehern ertönte. Das schwarze Einhorn war wieder da.
"Na, du." Erfreut tätschelte Dhalia dem geheimnisvollen Wesen die Schnauze, bevor ihr einfiel, dass es vielleicht nicht ganz angebracht war. Es schien sich jedoch nicht daran zu stören. Anscheinend hatte sie bereits den Status einer alten Bekannten erworben, der es so manches durchgehen ließ. Selbst im hellen Sonnenschein war das Einhorn schwarz wie die Nacht, als würde sein Fell alles Licht absorbieren. Hingegen schien das Horn, das auf seiner Stirn über seinen Augen prangte, bei Tag viel heller zu sein. Es wirkte nun wie ein reiner Rubin, nicht wie in Blut getauchter Obsidian.
Ohne weiter darüber nachzudenken, schwang Dhalia sich geschickt auf den Rücken des Wesens. Sie wusste, es würde sie sicher zu ihrem Bestimmungsort bringen.
Nur noch ein Gedanke hielt sie davon ab, die Festung des Herrschers augenblicklich zu stürmen - Chris. Er hatte bestimmt schon gemerkt, dass sie fort war. Gewiss suchte er nun nach ihr. Sie sollte ihm eine Nachricht zukommen lassen. Aber wie?
Als würde es ihre Unentschlossenheit spüren, setzte das Einhorn sich dieses Mal sehr langsam in Bewegung.
Dhalia, in ihre Grübeleien versunken, achtete kaum auf ihre Umgebung, als sie das Ufer verließen und wieder in den Schatten der Bäume eintauchten. Deswegen hatte sie die Gestalt, die sich ihr plötzlich in den Weg stellte, zunächst gar nicht bemerkt.
"Wo warst du?" Chris' Stimme klang gefasst, aber distanziert. Zu groß war sein Befremden darüber, in dieser unmenschlichen Gestalt seine Dhalia, die Weggefährtin so vieler Wochen, zu erkennen. Makellos und wunderschön saß sie hoch aufgerichtet auf dem Rücken des ebenholzschwarzen Tieres, als wäre sie nicht erst wenige Tage zuvor völlig zerschunden und dem Tode nah gewesen. Nun fielen ihre langen blonden Haare in weichen Locken über ihre Schultern und ihr dünnes, schillerndes Gewand zeigte beinah mehr von ihrem Körper, als es verbarg. Ihre gesamte Gestalt schien von einem Leuchten erfüllt zu sein, sie war wie die Verkörperung der Jugend und des Frühlings, merkwürdig fehlplatziert inmitten des noch immer schneebedeckten
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