Feenkind 2: Im Reich der Feen (German Edition)
glänzende Schweif des Tieres waren. Bruno hatte noch schwerer als Chris an den Entbehrungen des Winters zu leiden. Schade, dass es ihm zuvor nicht aufgefallen war. Zum ersten Mal kam Chris der Gedanke, ob sie den Weg zurück überhaupt schaffen würden. Immer nur von dem Bedürfnis beseelt, den See zu erreichen, hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, was er anschließend tun sollte. Falls Dhalia wirklich für immer verloren für ihn war, würde er wohl kaum die Kraft finden, diesen Ort des Abschieds ein zweites Mal zu verlassen. Aber falls sie lebte, hatten Bruno und er noch eine sehr lange Reise vor sich. Wieso war ihm Brunos Zustand nicht vorher aufgefallen? Dann fiel ihm in einem Anflug von Humor ein, dass er selbst vermutlich auch nicht viel besser aussah. Dennoch, Dhalia würde ihn vermutlich umbringen, wenn sie ihr Pferd jetzt so sehen könnte. Dhalia.
Chris' Blick wanderte zurück zu dem Baum. Er versuchte, aus der Entfernung zu erkennen, ob sie dort gewesen war, und fürchtete sich gleichermaßen vor dem, was er zu sehen bekommen könnte.
Bruno blieb stehen und sah Chris auffordernd an, doch er rührte sich noch immer nicht. Auf einmal war es so unsagbar schwer, auch nur einen Schritt zu tun. Verzweifelt schüttelte Chris seinen Kopf. Seit unzählbaren Tagen war er nun unterwegs, hatte kaum noch eine Rast eingelegt, immer vorwärts getrieben von dem brennenden Wunsch, endlich Gewissheit zu haben, sich endlich auf die Suche nach ihr aufmachen zu können, wo auch immer sie sein mochte. Und nun war er da. Und die letzten zwanzig Schritte erschienen ihm plötzlich so unüberwindbar wie ein Ozean. Doch es half nichts. Was geschehen war, war bereits geschehen. Und nur weil er es nicht wahr haben wollte, würde sich nichts daran ändern. Und dennoch, am liebsten hätte er einfach umgedreht, hätte auf der Stelle kehrt gemacht und wäre zu dem fernen Dunaíi-Gebirge und seinem geheimnisvollen Vulkan aufgebrochen.
Bruno hatte den Baum bereits erreicht und fing nun mühsam an, mit seinen großen, gelben Zähnen an dessen Rinde zu knabbern. Chris seufzte. Er konnte es sich nicht leisten, in Selbstmitleid zu verfallen. Zumindest ein lebendes Wesen war bei ihm und brauchte ihn - Bruno.
Bevor er es sich anders überlegen konnte, legte Chris die letzte Entfernung in großen Schritten zurück.
Unsicher starrte er auf den kleinen Hügel unberührten Schnees, der sich am Fuß des Baums erhob. Dann ging er zu einem anderen Baum hinüber und brach mit Hilfe seines Messers ein großes Stück Rinde von dem Stamm ab, das er als Schaufel verwenden konnte. Noch immer zögernd nahm er einen Schluck aus einer kleinen flachen Flasche, die er aus seiner Brusttasche holte. Heiß rann der Alkohol seine Kehle hinunter. Er atmete noch einmal tief durch und fing an zu graben.
Etwas später saß Chris im Schein der Fackeln, die er gegen die rasch hereinbrechende Dunkelheit aufgestellt hatte, neben dem zerwühlten Grab. Seine Schultern zitterten hysterisch und er drückte einen kleinen schmutzigen Fetzen Stoff an seine Lippen, während er die andere Hand auf den Baumstamm gelegt hatte. Freudentränen rannen ungehindert seine Wangen hinunter. Denn als er mit der Hand beinah zärtlich über die Rinde des Baumes strich, kam unter dem
Dhalia
, das er zum Andenken an sie eingeritzt hatte, ein
Chris
zum Vorschein.
* * *
Dhalia legte ihren Kopf in den Nacken, um die vor ihr aufragenden schneebedeckten Gipfel des Dunaíi-Gebirges zu betrachten, deren Spitzen in der dichten Wolkendecke verschwanden. Seit vielen Tagen beherrschte das Felsmassiv schon den Horizont - unüberwindbar wie eine Mauer, die sie von ihrem Bestimmungsort trennte. Es war unvorstellbar, diese Höhen erklimmen zu können, mitten im Winter, wo doch das ewige Eis der Gipfel nicht einmal im Sommer schmolz. Und hinter den ersten Bergen konnte sie im Nebel schwach einen weiteren dunklen Umriss erahnen. Das musste der Karte nach der Vulkan sein. Doch zu Dhalias Verwunderung war da keine Feuer- oder Rauchsäule, die aus seinem offenen Schlund schoss, nicht einmal eine dunkle Wolke aus Asche, die über ihm schwebte. Darüber war Dhalia erleichtert und besorgt zugleich. Wenn der Vulkan in einem Meer aus glühender Lava geschwommen wäre, hätte sie ihn niemals erreichen können. Aber wenn da gar nichts war, hatte sie sich womöglich geirrt.
Am Nachmittag erreichte sie das Vorgebirge. Die verschneiten Hügel ragten hoch zu ihren beiden Seiten auf, während sie sich mit Morgenrot
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