Feenkind 2: Im Reich der Feen (German Edition)
einer Decke und dem Proviant. Obwohl sie viel zurückgelassen hatte, war der Rucksack noch immer fast zu schwer, um ihn zu tragen, wie Dhalia feststellte, als sie von Morgenrots Rücken kletterte und ihn schulterte. Liebevoll tätschelte sie die Schnauze ihrer Stute. Sie hätte nie gedacht, dass es ihr so schwer fallen würde, sie zu verlasen.
"Ihr kommt doch wieder?" fragte Raphael, der die Abschiedsszene beobachtet hatte, plötzlich beunruhigt.
"Aber ja." Dhalia lächelte.
"Ich hoffe, Ihr bleibt dann ein bisschen länger bei uns. Und wer weiß", er lächelte schüchtern, "vielleicht braucht Ihr den weiten Weg nach Hause gar nicht mehr zu machen. Eine Frau von Eurem Schlag gehört einfach zu uns, hierher in die Berge. Und wäre es nicht schön, näher bei Eurer Schwester zu leben?" Er sah sie hoffnungsvoll an.
"Vielleicht", murmelte Dhalia und senkte den Blick. "Danke. Danke für alles", sagte sie dann und streckte ihm freundschaftlich ihre Hand hin.
Raphael verharrte unsicher. Es war deutlich, wie sehr es ihm widerstrebte, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Dann ergriff er ihre Finger und hielt sie kurz in seiner eigenen großen warmen Hand fest.
"Also", sagte Dhalia zögernd. "Mach's gut." Sie lächelte Raphael aufmunternd zu. Dann, ohne seine Erwiderung abzuwarten, drehte sie sich um und schritt entschlossen in die Schlucht hinein. Als Dhalia sich an der ersten Biegung umdrehte, stand der junge Mann noch immer da, mit Morgenrots Zügeln in der Hand, und starrte ihr besorgt nach. Sie winkte ihm noch einmal zum Abschied zu und verschwand dann hinter der Kurve.
Eliza beobachtete Dhalia und ihren Begleiter, als sie am Morgen endlich das Farmhaus verließen. Sie folgte ihnen bis zum Feenpass, dessen Magie sie schon aus einiger Entfernung spüren konnte. Es konnte kein Zufall sein, dass Dhalia immer wieder Orte aufsuchte, die von der Magie der Alten Feen durchdrungen waren. Sie musste einfach etwas vorhaben.
Aus sicherer Entfernung sah Eliza zu, wie Dhalia sich von ihrem Führer verabschiedete und zu Fuß die Schlucht betrat. Sie dachte kurz nach. Anscheinend musste auch sie ihr Pferd zurücklassen, wenn sie dem Mädchen folgen wollte. Doch sie hatte keine Lust, die ganze Schlucht zu Fuß zu durchqueren. Und im Gegensatz zu Dhalia hatte sie eine Wahl. In den nächsten Tagen, solange das Mädchen dem Feenpass folgte, würde es ihr nicht entwischen können. Um ganz sicher zu sein, zog Eliza jedoch ihren Kompass aus der Tasche. Er war noch immer auf Dhalia fixiert. Derart beruhigt, beschloss sie, Dhalia vorangehen zu lassen und ihr in kurzen Etappen zu folgen, die sie fliegend zurücklegen konnte. Sie beschloss, im Feenpass in der Nähe des Eingangs zu kampieren, denn sie konnte der Verlockung der magischen Energie, die die Schlucht durchdrang, einfach nicht widerstehen.
Erschöpft blieb Dhalia stehen und sog die eisige Luft in ihre keuchende Lunge. Der Pass war zwar begehbar, doch war der Weg viel schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte. Hätte sie gewusst, was vor ihr lag, sie hätte die sichere Zuflucht von Giacomos Haus niemals verlassen. Jetzt hatte sie jedoch keine Wahl mehr. Seit zwei Tagen war sie nun schon unterwegs und trotz all ihrer Anstrengungen war sie noch nicht sehr weit gekommen. Der Weg stieg kontinuierlich an und die anfangs noch dünne Schneedecke war nun mehr als einen Fuß tief. Zum Glück hatte sich durch den Frost eine feste Kruste auf dem Schnee gebildet. Dadurch drohte Dhalia zwar immer wieder auszurutschen, doch zumindest versank sie - bis auf gelegentliches Einbrechen - nicht bei jedem Schritt knietief im weichen Schnee.
Müde ließ sie den Rucksack von ihren Schultern gleiten und blickte sich um. Der Pfad, dem sie folgte, hatte sich seit einigen Stunden immer weiter vom Schluchtboden entfernt. An der Stelle, an der sie nun stand, war er nur noch fünf Fuß breit. Zu ihrer Rechten streckte sich der Fels hoch hinauf und zu ihrer Linken ging es tief hinab. Dhalia schaute besorgt nach oben. An der zerklüfteten Felswand wuchsen hier und da verkrüppelte Bäume und Büsche in den Spalten und Vorsprüngen. Ihre Äste hingen schwer von Schnee und konnten jederzeit eine Lawine auslösen. Schon mehrmals hatte sie über die Überreste kleiner Schneelawinen klettern müssen, die ihr den Weg versperrten. Sie wagte sich kaum auszumalen, was geschehen würde, wenn eine solche Lawine sie erwischte. Der Felsvorsprung war so schmal, dass der Aufprall sie gewiss mit in die Tiefe reißen
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