Feenkind 2: Im Reich der Feen (German Edition)
hinzu.
Dhalia mochte den großen breitschultrigen Mann sehr, der nur wenige Jahre älter war als sie selbst. Er hatte so eine warmherzige und beschützende Art an sich. Und obwohl er sie erst kurz kannte, spürte sie, dass er nicht abgeneigt wäre, ihr seinen Schutz für immer anzubieten, zusammen mit einem ruhigen Leben abseits aller Kriege und jenseits aller Magie - ein Leben in den Bergen, an seiner Seite.
Es wäre schön, endlich einmal einen Platz zu haben, an dem sie zur Ruhe kommen konnte. Doch sie wusste, dass es nicht möglich war. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht mit ihm.
"Ich denke, ich habe Eure Gastfreundschaft wirklich schon genug strapaziert", sagte sie daher. "Ich möchte so bald wie möglich aufbrechen."
"Gut, dann wird Raphael Euch morgen zum Feenpass bringen. Er dürfte noch am ehesten passierbar sein", sagte Giacomo nachdenklich.
"Wieso heißt dieser Weg
Feenpass
?" erkundigte Dhalia sich neugierig. Es konnte gewiss kein Zufall sein.
Giacomo zuckte mit den Achseln. "Ich weiß nicht genau. Er hieß schon immer so." Der Mann zögerte kurz, fuhr dann jedoch fort. "Der Legende nach soll es tatsächlich eine Feenstraße sein. Ein Weg über das Gebirge, der auch im Winter passierbar ist, bis zum Craih Nud - dem großen Vulkan." Er lächelte. "Ob das stimmt, weiß ich freilich nicht. Doch mein Großvater erzählte mir einst, dass in seiner Kindheit der Pass tatsächlich schneefrei geblieben war. Aber diese Zeiten sind längst vorbei", fügte er hinzu, als er das hoffnungsvolle Aufflackern in Dhalias Augen bemerkte. "Dennoch ist das wohl Eure beste Chance um diese Jahreszeit. Der Pass liegt nicht so hoch wie die anderen und dürfte passierbar sein. Auch wenn es gewiss nicht einfach wird. Euer Pferd werdet Ihr nicht mitnehmen können." Giacomo blickte sie ernst an, halb in der Hoffnung, dass dies sie von ihrem Vorhaben abbringen würde. Doch Dhalia nickte nur.
"Wenn Ihr wollt", ergriff Raphael nun das Wort, "kann ich Morgenrot mit zurücknehmen. Wir werden gut auf sie aufpassen und auf dem Rückweg holt Ihr sie einfach wieder ab."
"Wenn es Euch keine Umstände bereitet ..."
"Aber nicht doch, wir tun das gern", fiel Giacomo ihr ins Wort. "Ich muss schon sagen, Ihr habt wirklich Mumm", fügte er anerkennend hinzu. "Ich kenne kaum einen Mann, der diese Reise auf sich genommen hätte."
"Vater, vielleicht sollte ich sie lieber begleiten. Allein ist es viel zu gefährlich für sie."
"Nein." Dhalia schüttelte höflich, aber bestimmt den Kopf. "Das kann ich nicht zulassen. Außerdem bin ich schon so weit gekommen. Ich glaube, meine Reise steht unter einem guten Stern."
"Möglich", stimmte Giacomo ihr zu. "Wenn Ihr morgen früh aufbrechen wollt, müsst Ihr jetzt aber zu Bett gehen. Es warten einige sehr anstrengende Tage auf Euch."
"Wie lange wird es dauern?"
"Schwer zu sagen. Es kommt darauf an, wie schnell Ihr vorankommt. Im Sommer lässt sich die Strecke zum Craih Nud in vier Tagen bewältigen. Und von dort dauert es noch etwa zwei Tage bis Sloan. Doch jetzt müsst Ihr mindestens das Doppelte einplanen."
Am nächsten Morgen führte Raphael sie wie besprochen zum Feenpass. Es war eine schmale tiefe Schlucht, wohl vor Jahrtausenden durch einen längst versiegten Strom in das Gestein gegraben. Nun erhoben sich die Felswände steil auf beiden Seiten der Schlucht mehrere hundert Fuß nach oben. Der Boden war mit Schnee bedeckt, doch schien er nicht so tief zu sein wie überall sonst - nur eine Handbreit. Die Magie der Feen war also noch wirksam. Und tatsächlich meinte Dhalia, ein leichtes Prickeln auf ihrer Haut zu spüren - die Reste der Zauber, die den Pass ehemals frei von Eis und Schnee gehalten hatten. Dennoch wirkte der Weg alles andere als einladend. Eingeschüchtert blickte Dhalia nach oben auf die bedrohlich eng stehenden Felswände.
"Keine Sorge, die Schlucht wird bald breiter", beruhigte Raphael sie, da er ihren Blick richtig gedeutet hatte. "Der Weg steigt aber auch kräftig an und an manchen Stellen werdet Ihr richtig klettern müssen. Habt Ihr Eure Schneeschuhe dabei?" fragte er besorgt.
Dhalia klopfte auf ihren prall gefüllten Rucksack, in dem die mit langen Stacheln versehenen Aufsätze für ihre Schuhe, die Giacomo ihr mitgegeben hatte, verstaut waren. Da sie sich nicht von dem Feenbuch hatte trennen wollen, war der Platz in ihrem Rucksack äußerst begrenzt. Sie musste beinahe alles, was sie noch besaß, zurücklassen - außer einem kleinen Topf, ihren Waffen, der nötigen Kletterausrüstung,
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