Feenkind
wirken. Fast erwartete sie, dass sich nun die merkwürdige Eingebung, die sie zu dieser Insel gebracht hatte, wiederholen würde, dass sie instinktiv wieder das Richtige tun würde. Dass der hilfreiche, wenn auch unheimliche "Tote Wind" wiederkommen und ihr den Weg weisen würde.
Doch nichts geschah.
Sie hörte nichts als ihren eigenen Atem und das leise und stetige Rieseln des Sees. Selbst diese wenigen Geräusche schienen hundertfach zurückgeworfen zu werden und waren doch so seltsam klanglos in dem riesigen Gewölbe.
Dhalia schauderte. Sie tastete mit ihrem Fuß nach der Brücke, die sie zur Insel geführt hatte, und zuckte erschrocken zurück, als ihr Fuß ohne Widerstand im weichen Staub versank. Panisch warf sie sich auf den Bauch und tastete mit ihren Händen wild umher, bis sie die Brücke wieder fand. Doch ihr Mut sank weiter. Sie brauchte sich nichts vorzumachen, ohne Licht würde sie den Weg über den Staubsee niemals schaffen. Sie konnte also nicht zurück. Der einzige Ausweg, der ihr noch blieb, war weiter zu gehen.
Dhalia richtete sich wieder auf. Wenn sie sich nicht täuschte, hatte sie aus dem Augenwinkel irgendwo eine Treppe gesehen, als sie die Insel erreicht hatte. Wenn sie das letzte Licht, das sie gehabt hatte, doch nur dazu verwendet hätte, sich besser umzusehen, anstatt nur herumzusitzen! Doch es half nichts, darüber zu jammern. Sie atmete tief durch und begann, den soliden Fels des Turms langsam nach einer Treppe oder einem Durchgang abzusuchen.
Als sie sich an einem Felsvorsprung den Handknöchel aufschürfte, traten ihr trotzige Tränen in die Augen. Warum nur musste alles immer so schwierig und schmerzhaft sein? Sie wollte endlich raus aus dieser verdammten Höhle!
Noch während sie an ihrem verletzten Knöchel saugte, um die kleine Wunde zu reinigen, griff ihre andere Hand ins Leere. Sie hatte die Treppe gefunden!
Dhalia neigte sich vor, bis ihre beiden Hände auf einer der oberen Stufen lagen, und krabbelte eher als ging die schmale Steintreppe hinauf. Die Treppe wand sich in einer immer enger werdenden Spirale um den Felsen herum, bis sie oben in einer Plattform endete.
Vorsichtig schob sich die junge Frau auf die Plattform und blieb auf allen Vieren sitzen. Sie hatte keine Ahnung, wie groß die Fläche war, und hatte Angst, sich aufzurichten. Ungewollt malte sie sich im Geist aus, wie sie bei einer falschen Bewegung in die Tiefe stürzte und ihr Körper entweder an dem Felsen zerschmetterte oder für immer in dem unheimlichen Staubsee verschwand.
Du musst deine Angst kontrollieren
, hörte sie auf einmal die Stimme ihres Vaters in ihrem Kopf klar und deutlich durch das Gespinst ihrer Panikvisionen dringen.
Die Angst kann den Geist und den Körper lähmen und somit Gefahr erschaffen, wo vorher keine gewesen war. Besiege deine Ängste, Dhalia, und du wirst alles erreichen.
Du hast gut reden, dachte das Mädchen grimmig. Du sitzt ja nicht auf der Spitze eines Felsens in völliger Dunkelheit fest. Und doch hatte die Erinnerung an ihren Vater ihre Beklemmung gelöst. Er hatte Recht, ihr konnte nichts passieren, solange sie nur vorsichtig war. Sie streckte einen Arm nach vorne aus, um den Boden und die Luft vor sich abzutasten, und kroch langsam vorwärts. Nach wenigen Schritten traf sie auf ein Hindernis. Die Plattform war von einer etwa hüfthohen Mauer umgeben, wie Dhalia feststellte, als sie sich aufrichtete. Sie tastete sich seitwärts an der Mauer entlang, bis sie eine Ecke erreichte. Da, wo sich die zwei Seiten der Plattform trafen, lag eine große Kugel auf der Mauer. Als ihre Hände die Kugel berührten, fühlte Dhalia ein plötzliches Kribbeln in ihren Handflächen, das sich bis in ihre Arme ausbreitete. Rasch nahm sie ihre Hände fort und wich einen Schritt zurück.
Doch was auch immer durch ihre Berührung ausgelöst worden war, ließ sich nicht mehr stoppen.
Sie hörte ein leises Summen und sah eine schwach glühende bläuliche Kugel vor sich aus dem Nichts auftauchen. Das blaue Glühen wurde schnell stärker und tauchte die Plattform in silbriges, an Mondschein erinnerndes Licht. Bald konnte Dhalia sogar den funkelnden Staubsee zu Füßen der felsigen Insel erkennen.
Es wurde immer heller um sie herum und als sie sich umsah, entdeckte sie Hunderte von weiteren Lichtkugeln, die in allen Farben des Regenbogens die gewaltige Höhle erhellten und den Staubsee, der schon im Schein ihrer Laterne gefunkelt hatte, in ein Meer aus flüssigem Licht zu verwandeln schienen.
Noch
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