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Feenzorn

Feenzorn

Titel: Feenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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endlich fähig war, den Magierblick einzusetzen. Heute noch habe ich das perfekte Abbild im Kopf, als betrachtete ich es immer noch – ein kleines grünes Geschöpf wie aus einem Cartoon, das halb Gnom und halb Eichhörnchen war.
    Danach habe ich viel schlimmere Dinge gesehen. Viel, viel schlimmere Dinge. Zermalmte Seelen, gequälte Geister. Auch das ist alles noch da. Andererseits habe ich auch schöne Anblicke in mir gespeichert. Ein oder zwei Blicke habe ich auf Wesen von solcher Schönheit und Reinheit erhascht, dass ich geweint hatte. Aber jedes Mal ist es ein wenig mühsamer geworden, jedes Mal ist es ein wenig schwerer zu ertragen, denn die Bürde der Eindrücke wächst.
    Ich knirschte mit den Zähnen, schloss die Augen und öffnete vorsichtig den Magierblick.
    Was ich nun sah, traf mich wie ein Schlag, die Eindrücke überfluteten mich. Die Wolkenlandschaft brodelte förmlich vor magischen Energien. Vom südlichen Hügel strahlte grünes und goldenes Licht herüber und ließ die Landschaft wie einen durchsichtigen Garten erstrahlen – grüne Ranken, goldene Blüten und Tupfer in allen anderen Farben breiteten sich dort aus, bedeckten den Boden, setzten sich hier und dort fest und sandten ein gleißendes Licht aus, in das ich nicht hineinblicken konnte.
    Von der anderen Seite strömte eine kalte blaue und purpurne Energie herbei, die mich an Eiskristalle denken ließ. Langsam und mit der unaufhaltsamen Kraft eines Gletschers schob sie sich stellenweise vor, während sie anderswo schmolz. Besonders stark war sie an den sich windenden Flüssen im Tal.
    Der Konflikt der Energien entsprang an einzelnen Stellen auf den Hügeln, die mir als Lichtpunkte, hell wie kleine Sonnen, erschienen. Dort konnte ich gerade eben die Schatten von Wesen ausmachen. Einer dieser Schatten hinterließ in meinen Sinnen einen überwältigenden Eindruck. Ich empfand Wärme, eine derart erstickende Hitze, dass ich kaum atmen konnte, es bedrückte mich und gab mir das Gefühl, ich stünde in Flammen. Die Gegenspielerin war eisig, schrecklich und herrisch, sie umfing mich mit kalten Gliedern und stahl mir meine Kraft. Beide Seiten durchströmten mich und zeigten mir überirdische Schönheit, entsetzliche Macht und eine Ehrfurcht gebietende Erhabenheit, dass ich schluchzend auf die Knie sank.
    Diese beiden Kräfte spielten gegeneinander – das konnte ich spüren, auch wenn ich die Natur ihres Konflikts nicht einmal zu erahnen vermochte. Die Energien wanden sich umeinander, Licht und Dunkelheit bedrängten einander gegenseitig und hinterließen ihre Spuren in der abwechselnd kalt und warm beleuchteten Landschaft. Rote, goldene und hellgrüne Flecken kämpften gegen leere, tote Bereiche, die blau, purpurn und weiß gefärbt waren. Eine Struktur schälte sich heraus, eine Ordnung des Konflikts, die aber noch nicht vollständig war. Es ähnelte einem Schachbrett, doch im Zentrum, am Tisch, war der Kampf bisher nicht entbrannt. Den Steintisch umgab momentan noch die ungebrochene grüne und goldene Kraft des Sommers, während das kristalline Eis des Winters herandrängte und dabei den fast unmerklichen Bewegungen der Sterne über uns folgten.
    So sah ich es. Ich konnte nun betrachten, wogegen ich angetreten war – gegen die geballte Kraft der beiden Königinnen des Feenlandes. Dies war unendlich größer als ich. Selbst wenn ich meine ganze Kraft eingesetzt hätte, wäre ich nicht mehr als ein kleines Flackern neben diesen strahlenden Quellen von Licht und Magie gewesen. Diese Macht hatte bereits existiert, als das Leben auf der Erde entstanden war, und sie würde existieren, bis es endete. Diese Macht hatte Sterbliche zu unterwürfiger Anbetung gezwungen oder sie in Angst und Schrecken versetzt, und nun verstand ich auch den Grund. In diesem Spiel war ich nicht einmal eine Randfigur, sondern ein Insekt neben Riesen, ein Grashalm vor einem gewaltigen Baum.
    Zugleich übte der Anblick dieser Gewalten eine schreckliche Anziehungskraft auf mich aus, denn sie verknüpfte sich mit der Magie in mir, sie sprach mich als Verwandten an und weckte in mir den Wunsch, mich in die Flammen oder in die endlose Eiseskälte zu stürzen. Eine Motte mochte die Lichtfallen mit den gleichen Augen betrachten wie ich die Feenköniginnen.
    Ich riss mich los und schützte mein Gesicht mit den Armen, dann stürzte ich, fiel auf die Seite und rollte mich zusammen, um den Magierblick zu beenden, denn ich wollte die Bilder nicht länger über mich hereinbrechen lassen.

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