Feenzorn
Verzweifelt schüttelte ich mich und versuchte, etwas zu sagen, ich weiß nicht mehr was. Nur ein hilfloses Stammeln kam mir über die Lippen. Schließlich verlor ich das Bewusstsein. Ich kam wieder zu mir, weil kalter Regen auf meinen Rücken prasselte.
Als ich die Augen öffnete, lag ich am Ufer des Michigansees, wo ich meine Patentante gerufen hatte, auf der nassen Erde. Mein Kopf ruhte auf etwas Weichem, das sich als ihr Schoß entpuppte. Sofort richtete ich mich auf und zog mich von ihr zurück. Mir tat der Kopf weh, und die Bilder, die ich mit dem Magierblick gesehen hatte, flößten mir das Gefühl ein, winzig und verletzlich zu sein. Eine Weile saß ich schaudernd im Regen, ehe ich mich wieder an Lea wandte.
»Du hättest mich warnen sollen.«
Ihre Miene verriet keine Reue und kaum Sorge. »Das hätte nichts geändert. Du musstest es mit eigenen Augen sehen.«
Sie zögerte, dann fuhr sie fort: »Ich bedaure allerdings, dass dies der einzige Weg war. Verstehst du es denn jetzt?«
»Der Krieg«, sagte ich. »Sie kämpfen um die Kontrolle des Bereichs, der den Tisch umgibt. Wenn der Sommer die Stellung hält, dann spielt es keine Rolle, ob gerade die Zeit des Winters ist oder nicht. Mab wird den Tisch nicht erreichen, sie wird kein Blut auf ihm vergießen können, um die Macht, die der Ritter des Sommers besitzt, dem Winter zuschlagen zu können.« Ich holte tief Luft. »Ich konnte spüren, was sie taten. Als wäre es ein Ritual. Etwas, das sie nicht zum ersten Mal taten.«
»Natürlich«, stimmte Lea zu. »Sie existieren nur als Gegnerinnen. Jede besitzt eine gewaltige Macht – eine Macht, die Erzengeln und kleineren Gottheiten gleichkommt. Doch sie heben einander auf vollkommene Weise auf, und am Ende ist das Spielfeld gleichmäßig aufgeteilt. Die geringeren Figuren werden auftauchen und einander bekämpfen, um das Gleichgewicht zu beeinflussen.«
»Die Ladys«, sagte ich, »und die Ritter.«
»Außerdem«, fügte Lea mit erhobenem Finger hinzu, »die Gesandten.«
»Einen Teufel werde ich tun. Ich werde keinesfalls in irgendeinem verdammten Feenkrieg in den Wolken kämpfen.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
Ich schnaubte. »Aber du hast mir nicht geholfen. Ich wollte mit ihnen sprechen und herausfinden, ob eine von ihnen die Schuldige ist.«
»Das hast du getan, und zwar viel gründlicher, als es dir mit bloßen Worten möglich gewesen wäre.«
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich Lea und überlegte, was ich bisher wusste und was ich auf meinem Ausflug zum Steintisch erfahren hatte. »Mab dürfte es nicht eilig haben. Wenn dem Sommer der Ritter fehlt, dann ist der Winter im Vorteil, indem er einfach nur abwartet. Es ist nicht nötig, den Tisch zu erobern.«
»Ganz genau.«
»Aber der Sommer will den Tisch schützen. Also glaubt Titania offenbar, ein Angehöriger des Winterhofs habe es getan. Wenn Mab nun reagiert, statt abzuwarten, dann heißt dies…« Ich kniff die Augen zusammen. »Es bedeutet, dass sie nicht sicher ist, warum der Sommer angreifen will. Sie hält einfach nur Titanias Vorstoß auf, und das bedeutet, dass auch sie nicht genau weiß, wer es getan hat.«
»Stark vereinfacht«, erwiderte Lea, »dennoch sind dies recht vernünftige Überlegungen, Süßer. Dies sind in der Tat die Gedanken der Königinnen der Sidhe.« Sie blickte über den See. »Bald wird eure Sonne aufgehen. Wenn sie sinkt, beginnt der Krieg. Wären die Kräfte zwischen den Höfen ausgeglichen, dann hätte dies für die Welt der Sterblichen wahrscheinlich keine schwerwiegenden Folgen. Doch das Gleichgewicht ist gestört. Du hast nun eine Vorstellung davon, was geschehen mag, wenn es nicht wiederhergestellt wird.«
Die hatte ich. Schon vorher hatte ich eine Ahnung gehabt, was alles schiefgehen konnte, aber jetzt kannte ich die Größenordnung der beteiligten Kräfte. Die Kräfte von Winter und Sommer waren nicht mit der gespeicherten Energie in einer Batterie zu vergleichen. Sie waren eher wie riesige gespannte Federn, die gegeneinanderpressten. Solange der Druck von beiden Seiten gleich groß blieb, hielten sie sich gegenseitig in Schach. Wenn allerdings das Gleichgewicht gestört war und eine der beiden Seiten ausglitt, dann würden beide ihre Energien schlagartig und ungerichtet freisetzen, und das hätte schreckliche Folgen für alles, was sich in der Nähe befand – in diesem Fall Chicago, Nordamerika und vermutlich ein großer Teil der Welt.
»Ich muss die Mütter sehen. Bring mich zu
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