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Feenzorn

Feenzorn

Titel: Feenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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Winter nahm es mit welken Händen und hob eine rostige Schere. Sie schnitt die heraushängenden Fäden ab und reichte mir das Tuch.
    Ich nahm es, ohne nachzudenken. Es war weich und kalt, als wäre es aus dem Kühlschrank gekommen, und es kribbelte, weil es eine feine, gefährliche Energie enthielt.
    »Es ist nicht vernäht«, sagte ich leise.
    »Nein, das soll es auch nicht sein. Es ist ein Auflöser«, erklärte Mutter Winter. »Was ist es?«
    »Es hebt Dinge auf. Ich mache alles zunichte, ich bin die Zerstörerin. Das ist mein Wesen. In diesen Fäden steckt die Kraft, einen Zauber aufzuheben. Berühre das, was aufgelöst werden muss, mit dem Tuch. Ziehe dann die Fäden heraus, und wenn es sich aufdröselt, wird es geschehen.«
    Ich starrte das Stück Stoff einen Moment an. Dann fragte ich leise: »Gilt das für jeden Zauber und jede Verwandlung?«
    »Für alles und jedes.«
    Meine Hände zitterten. »Heißt das… ich könnte es auch benutzen, um aufzuheben, was die Vampire Susan angetan haben? Es einfach fortwischen und sie wieder zu einem Menschen machen?«
    »Das könntest du tun, Gesandter.« Mutter Winters Stimme klang knochentrocken und amüsiert.
    Schluckend stand ich auf und faltete das Tuch zusammen. Ich steckte es in die Tasche und achtete peinlich darauf, dass keine Fäden heraushingen. »Ist es ein Geschenk?«
    »Nein«, keuchte die Wintermutter. »Eine Notwendigkeit.«
    »Was soll ich damit tun?«
    Mutter Sommer schüttelte den Kopf. »Es gehört jetzt dir, und du darfst es einsetzen, wie du willst. Wir haben die Grenzen dessen erreicht, was wir tun können. Der Rest liegt bei dir.«
    »Spute dich«, flüsterte Mutter Winter.
    Mutter Sommer nickte. »Es bleibt keine Zeit mehr. Sei schnell und handle klug, sterbliches Kind, und geh mit unserem Segen.«
    Mutter Winter zog die greisen Hände in die Ärmel ihrer Gewänder zurück. »Versage nicht, mein Junge.«
    »Bei den Toren der Hölle, setzt mich nicht so unter Druck«, murmelte ich. Zum Abschied verneigte ich mich nacheinander vor den Müttern und wandte mich zum Gehen. Als ich die Schwelle des Häuschens schon überschritten hatte, fiel mir noch etwas ein. »Oh, übrigens, ich entschuldige mich, falls wir eurem Einhorn ein Leid zugefügt haben, als wir herkamen.«
    Mutter Sommer zog eine Augenbraue hoch, Mutter Winter bewegte ein wenig ihren Kopf, und ich sah gelbe Zähne schimmern. »Welches Einhorn?«, keuchte sie.
    Dann schloss sich die Tür wie von selbst. »Diese verdammten alten Feenomas«, sagte ich zum dicken Holz. Dann drehte ich mich um und kehrte auf demselben Weg zurück, auf dem ich gekommen war. Das Stück Stoff lag kühl in meiner Tasche. Wahrscheinlich würde es unangenehm kalt, wenn es zu lange dort blieb.
    Der Gedanke an den Auflöser beschleunigte meine Schritte. Wenn die Mütter die Wahrheit sagten, dann konnte ich tatsächlich Susan helfen – ein Eingriff von beinahe göttlichen Ausmaßen. Ich musste nur noch den Fall abschließen und sie suchen.
    Andererseits wird mich dieser Fall vermutlich das Leben kosten, dachte ich grimmig. Die Mütter hatten mir zwar etwas Klarheit verschafft und mir ein magisches Hilfsmittel geschenkt, aber nicht den geringsten Hinweis gegeben, wie sich die Sache beilegen ließ. Sie hatten nicht einmal unmissverständlich zugegeben, dass Aurora die Schuldige war. Die beiden durften mir keine krassen Lügen auftischen, so viel wusste ich, und ihre ausweichenden Bemerkungen hatten mich zu dieser Schlussfolgerung geführt – aber wie viel war auf das geheimnisvolle Hemmnis zurückzuführen, das ihnen verbot, sich direkt einzumischen, und wie viel war die übliche Hinterlist der Feenwesen?
    »Spute dich«, ahmte ich Mutter Winter nach. »Wir haben die Grenzen erreicht«, imitierte ich gleich darauf Mutter Sommer. Während ich über die letzte Äußerung der Wintermutter sinnierte, lief ich unwillkürlich schneller. Sie hatte mit beinahe körperlich spürbarer Freude gesprochen, als hätte ihr dies eine Möglichkeit eröffnet, die sie sonst nicht bekommen hätte.
    Was für ein Einhorn?
    Auch darüber dachte ich nach. Wenn das eine wichtige Bemerkung und nicht nur eine gemurmelte Belanglosigkeit gewesen war, dann hatte sie etwas zu bedeuten.
    Sie bedeutete, dass es keinen Wächter vor dem Häuschen gab. Oder jedenfalls keinen, der von den Müttern eingesetzt war und in Gestalt eines Einhorns auftrat.
    Wer also war es gewesen?
    Die Antwort traf mich wie ein Tiefschlag, mir wurde beinahe übel, als ich es

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