Feenzorn
wurden von demselben Mann adoptiert, als wir zehn waren.«
Murphy blinzelte und sah mich erstaunt an. »Sie war Ihre Schwester?«
»Ich habe keine Verwandten. Wir wurden beide adoptiert, mehr nicht. Wir wohnten zusammen, trieben uns gegenseitig in den Wahnsinn, kamen gleichzeitig in die Pubertät. Den Rest können Sie sich denken.«
Sie nickte. »Wie lange waren Sie zusammen?«
»Oh… bis wir ungefähr sechzehn waren.«
»Was ist dann geschehen? Wie ist sie…«
»Mein Adoptivvater beschäftigte sich mit Schwarzer Magie.
Menschenopfer.« Ich zuckte mit den Achseln.
Murphy runzelte die Stirn. »Dann war er ein Magier?«
Ich nickte. »Ein starker sogar. Genau wie sie.«
»Hat er nicht auch versucht, Elaine zu erwischen?«
»Das hat er getan«, sagte ich. »Sie half ihm.«
»Was ist geschehen?«, fragte sie leise.
Ich bemühte mich, gleichmütig und ruhig zu sprechen, war jedoch nicht sicher, wie gut es mir gelang. »Ich bin fortgelaufen, woraufhin er mir einen Dämon hinterherschickte. Ich habe ihn besiegt und bin zurückgekehrt, um Elaine zu retten. Sie erlegte mir einen lähmenden Spruch auf, als ich nicht aufpasste, und er versuchte mit seiner Magie, in meinen Kopf einzudringen. Dann hätte ich alles getan, was er verlangt hätte. Ich konnte mich aus Elaines Fesselspruch befreien und griff Justin an. Dabei hatte ich Glück, er verlor. Alles ist niedergebrannt.«
Murphy schluckte schwer. »Was ist mit Elaine geschehen?«
»Ebenfalls verbrannt«, sagte ich leise. Es schnürte mir die Kehle zu. »Sie ist tot.«
»Gott, Harry.« Murphy schwieg einen Augenblick. »Greg hat mich verlassen. Wir versuchten ein paar Mal, uns auszusprechen, aber wir haben uns immer nur gestritten.« Ihr schossen die Tränen in die Augen. »Verdammt, ich hätte ihm wenigstens Lebewohl sagen sollen.«
Ich legte die Zeitung wieder auf den Tisch und klappte das Fotoalbum zu, wobei ich peinlich darauf achtete, Murphy nicht anzublicken. Sie wollte nicht, dass ich sie weinen sah, so viel war mir klar. Schließlich atmete sie scharf ein. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich lasse mich hier vor Ihnen gehen, dabei sollte ich das nicht. Ich weiß auch nicht, warum mir das so zu schaffen macht.«
Mein Blick wanderte zum Schnaps und den Tabletten auf dem Tisch. »Schon gut. Jeder hat mal einen miesen Tag.«
»Ich kann mir das nicht leisten.« Sie zog den Bademantel enger um sich. »Entschuldigen Sie, Harry. Wegen der Pistole, meine ich.« Es klang schwerfällig, beinahe etwas nuschelnd. »Ich wollte sicher sein, dass Sie es wirklich sind.«
»Schon klar.«
Sie sah mich an, und ein Anflug von Dankbarkeit schimmerte in ihren Augen. Abrupt stand sie auf und ging den Flur hinunter. »Ich will mir nur rasch etwas anziehen«, rief sie zurück.
»Ja, sicher«, rief ich ihr hinterher. Dann beugte ich mich vor und nahm das Arzneifläschchen, das hinter dem Schnaps neben dem leeren Glas stand. Eine mittelgroße Packung Valium. Kein Wunder, dass Murphy nicht mehr deutlich sprach. Valium und Gin. Bei den Toren der Hölle.
Ich hatte immer noch die Pillen in der Hand, als sie mit einer Cargohose und einem T-Shirt zurückkam. Sie hatte sich auch die Haare gebürstet und sich etwas Wasser ins Gesicht gespritzt. Jetzt war kaum noch zu erkennen, dass sie geweint hatte. Auf einmal blieb sie stehen und starrte mich an. Ich schwieg. Sie nagte an der Unterlippe.
»Murph«, sagte ich schließlich. »Fehlt Ihnen auch nichts? Ist… ich meine, brauchen Sie…«
»Schon gut«, sagte sie mit verschränkten Armen. »Ich bin nicht selbstmordgefährdet.«
»Es klingt komisch, wenn Sie das so sagen. Alkohol und Medikamente sind eine prima Möglichkeit, es hinzubekommen.«
Sie trat auf mich zu, riss mir das Fläschchen mit den Pillen aus der Hand und nahm die Schnapsflasche an sich. »Das geht Sie nichts an«, knurrte sie. Dann ging sie in die Küche, stellte alles dort ab und kehrte zurück. »Mir fehlt nichts, alles in Ordnung.«
»Ich habe Sie noch nie im Leben Alkohol trinken sehen. Und Valium? Ich mache mir Sorgen.«
»Wenn Sie gekommen sind, um mir einen Vortrag zu halten, dann können Sie sofort wieder gehen.«
Ich fuhr mir mit gespreizten Fingern durch die zotteligen Haare. »Karrin, ich schwöre, dass ich Ihnen keine Vorträge halten will. Ich versuche nur, es zu verstehen.«
Sie wandte den Blick ab und kratzte sich mit einem Fuß an der Wade des anderen Beins. Sie wirkte so klein, so zerbrechlich. Außerdem war ihr Blick nicht nur müde,
Weitere Kostenlose Bücher