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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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tun.“
    Sie schaltete die Taschenlampe wieder ein. Der Lichtkegel erfasste
seinen Kopf, ohne ihn jedoch zu blenden, wanderte hinunter, verharrte einen
Moment auf seinem zerrissenen Hemd und etwas länger auf seinem Bein.
    „Nur ein paar Kratzer, ja?“, knurrte sie und zog vorsichtig den
zerfetzten Hosenstoff auseinander. Der Lichtkegel wanderte wieder höher. „Du
gehörst in ein Krankenhaus, und zwar gleich!“
    „Dann fahr wenigstens zu Anne“, verlangte er.
    „Verdammt! Ich brauche von hier aus fast eine Stunde bis ins
Marienkrankenhaus!“
    „Komm, mach schon!“
    „Chris!“
    „Bitte!“
    „Du bist der dickschädeligste, sturste Hund … Gott, vergiss es! Also
gut! Kannst du aufstehen?“
    Mit ihrer Hilfe kam er auf die Beine, stolperte über den Platz zum
Wagen. Irgendwie. Das letzte, was er wahrnahm, war der Geruch von Benzin und
Öl, den die schwere Decke verströmte, die Susanne über ihn legte.
     
    Weiß! Schon wieder! War es möglich, dass es so viel Weiß auf der Welt
gab? Die Wände, die Decken, die Tür gegenüber? Fast wohltuend hob sich über dem
Türrahmen der braune, ans Kreuz genagelte Christus ab. Ein deutliches Zeichen,
dass er sich nicht in einem städtischen Krankenhaus befand.
    „Na, du Murmeltier“, sagte eine leise Stimme neben ihm.
    Als er den Kopf in Richtung der Stimme drehte, stieg eine leichte Welle
Übelkeit in ihm hoch. Er schloss für einen Moment die Lider. Als er sie wieder
öffnete, schaute er in rotgeränderte, ernste Kieselaugen. Karins Gesicht war
grau vor Müdigkeit. Seine rechte Hand lag in zwei warmen, großen Pranken.
    Irgendwas war da gewesen. Gonzo … Wald … Nacht … Karin … Wo kam Karin
her? Er versuchte, die Watte es seinem Kopf zu scheuchen. Watte? Wieso waberte
Watte durch sein Gehirn? Und dieses raue Gefühl in der Kehle, die wunden
Schleimhäute. Das musste Durst sein. Irgendwie fühlte sich so Durst an.
    „Trinken.“ Er war nicht sicher, ob das, was er gedacht hatte, auch so
aus seinem Mund kam.
    Aber Karin schien ihn verstanden zu haben. „Kalten Tee, oder soll ich
dir was anderes besorgen?“, fragte sie.
    „Tee!“ Auch dieses Wort schien er ausgesprochen zu haben, denn Karin
begann, mit irgendetwas zu hantieren neben seinem Kopf. Das Klappern des
Porzellans klang überlaut in seinen Ohren.
    Reiß dich zusammen, Sprenger! Watte hin oder her, er biss die Zähne
zusammen und zog sich an der Affenschaukel über ihm hoch. Atmete die
aufsteigende Übelkeit weg, das dumpfe Pochen in seinem Schädel.
    Karin setzte sich auf die Bettkante, griff mit der einen Hand in
seinen Nacken und hielt mit der anderen die Tasse.
    Eiskalter, ungesüßter Tee! Krankheit und Siechtum! Und trotzdem wurde
mit jedem Schluck sein Kopf klarer, machte sich die Watte nach allen
Himmelsrichtungen davon, zog an dünnen Fäden die Erinnerung hoch. Susanne neben
ihm, das fehlende O in „Notaufnahme“, Sanitäter, das besorgte Gesicht von Anne,
eine heisere Stimme. Ein Flüstern, das er nie wieder vergessen würde.
    Die zweite Tasse schmeckte absolut scheußlich. Das machte ihm mehr als
bewusst, dass er noch lebte. Mit seinem Kopf war irgendwas, und in seinem
Oberschenkel zwickte es heftig. In seinem linken Handrücken steckte eine Kanüle
und offenbar trug er so ein hinten offenes Krankenhausleibchen. Aber er lebte
ganz eindeutig! Und Karin war bei ihm.
    „Stell mir dieses Mistding höher“, verlangte er ungeduldig, obwohl
sich sein Kopf immer noch schwammig anfühlte.
    Leicht grinsend stellte Karin das Kopfteil seines Bettes auf die
gewünschte Höhe. „Tee weckt also doch deine Lebensgeister!“
    „Noch ein Schluck davon und ich sterbe“, antwortete er heiser, gegen
den Schwindel ankämpfend. „Wie spät?“
    „Halb drei ungefähr — nachmittags.“
    Das mit dem Wald war nachts gewesen. 1:12 Uhr Abfahrt Euskirchen.
Dieser Verrückte mit der Knarre in seinem Nacken!
    Unwillkürlich fasste er nach Karins Hand, sah in das graue Gesicht und
scheuchte den nächsten Wattebausch aus seinem Gehirn. „Du siehst so müde aus“,
stellte er fest.
    „Och, ich hatte halt ´ne unruhige Nacht“, versetzte sie trocken.
„Susanne hat mich angerufen. Sie dachte, ich sollte es wissen.“
    „Und du sitzt die ganze Zeit hier.“ Auch das war eine Feststellung,
keine Frage.
    Karin senkte den Blick, stierte auf das Bettlaken. „Weißt du“,
murmelte sie und flammende Röte schoss ihr ins Gesicht, „ich konnte einfach
nicht aufhören, dich anzuschauen.“
    Chris brauchte ein,

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