Fehlschuss
Bluse auch noch
jede Menge Hundehaare waren, schwarze Hundehaare. — Ach ja, noch etwas!“
Susanne holte tief Luft und sagte dann leise: „Sie war schwanger. Dritter
Monat.“
„Scheiße!“ Chris ließ sich auf den Besucherstuhl mit dem abgewetzten
grünen Polster fallen. „Könnte das der Grund sein?“
„Du meinst, irgendein wildgewordener Liebhaber, Zuhälter oder so was?“
Sie zuckte die Achseln. „Wir schweben da noch im luftleeren Raum. Ihre letzte
gemeldete Adresse ist fünf Jahre alt und seit mindestens vier Jahren nicht mehr
aktuell. Bei der Sitte ist sie ein unbeschriebenes Blatt; es liegt keine
Vermisstenanzeige vor; sie hat nicht mal einen unbezahlten Strafzettel. Wir
haben einfach nichts!“
Hellwein kam herein, stieg über die Ordner am Boden und setzte sich
still an seinen Schreibtisch. Er war jetzt sauber rasiert und trug einen
tadellos sitzenden hellen Sommeranzug. Dass er zu burgunderfarbenem Hemd
ausgerechnet eine Krawatte mit giftgrünen Pünktchen trug, jagte Chris eine
Gänsehaut über den Rücken. Aber Hellwein wäre nicht Hellwein gewesen, wenn er
keine provokanten Schlipse mehr tragen würde.
Susanne hingegen war immer noch in den zerknitterten Sachen von
letzter Nacht. Chris kannte sie lange genug, um zu ahnen, dass sie auch heute
erst spät nach Hause fahren und eine mehr oder weniger kurze Pause einlegen
würde.
„Klippstein ist gerade bei ihrer Mutter“, fuhr die Kommissarin fort.
„Irgend so ein Nest in der Eifel. Aber ich bezweifle, dass das was bringt.“ Sie
stützte den Kopf in die Hände und stierte auf die Schreibtischplatte.
„Irgendwas stinkt an der Geschichte, Chris. Und zwar gewaltig!“
Er widersprach nicht. Er sagte überhaupt lange Zeit nichts. Erzählte
auch nicht von Karin. Früher oder später würden sie sowieso bei ihr auftauchen.
Das konnte er nicht verhindern. Aber beschleunigen wollte er dieses
Zusammentreffen auch nicht. Es gab keinen rationalen Grund dafür, nur das
starke Gefühl, Karin schützen zu müssen.
Er dachte an Inge Lautmann, ihren Schmollmund. Ein ungezogenes Kind,
das irgendwie in die Klemme geraten war. Ein Mensch, dessen persönliche Habe in
zwei Koffern Platz fand. Eine schwangere Frau, die niemand vermisste. Eine
Edelprostituierte, wie Karin gehört hatte, die bei der Sitte unbekannt war.
„Was glaubst du?“, fragte er nach einer Weile. „Sie sagt ihrem
Liebhaber, dass sie schwanger ist, der flippt aus und schlägt zu. Leider etwas
zu hart.“
Susanne schüttelte langsam den Kopf. „Nein“, widersprach sie, „so
einfach ist das nicht. Erstens waren es ja wohl mehrere, wenn du dich nicht
verhört hast. Und zweitens: Ich bin seit zwanzig Jahren bei der Polizei,
Chris!“ Sie richtete sich kerzengerade auf. „Und ich habe eine Menge Leute
gesehen, die verprügelt worden sind. Aber eine klassische Tötungsart ist es
sicher nicht. Außerdem war das geplant, wenn du mich fragst. Zumindest ein
Großteil. Du hast sie selbst gesehen: Sie hat Verbrennungen auf den Brüsten,
sie ist gedrosselt worden — mit einem Hanfseil wahrscheinlich. Sie hat
Druckstellen an Fuß- und Armgelenken. Hämatome am ganzen Körper, und einige
davon sind mindestens zwei Tage alt. Das tut niemand, Chris, der mal eben so
ausrastet. Sie ist gefoltert worden, irgendwie entwischt und dir vor den Wagen
gelaufen. So ist das!“
Über seinen Rücken lief erneut eine Gänsehaut. Er sah den Schmollmund
wieder vor sich. Diese panischen, fiebrigen Augen. Hamburger und Wodka.
Dann blickte er seine alte Freundin zweifelnd an. „Sie wird über
mehrere Tage festgehalten, haut ab und schlägt sich als erstes den Bauch voll
mit Wodka und Hamburger? Mit den Verletzungen? Nee, du! Irgendjemand hat ihr
was zu essen gebracht und sie dann abgefüllt. Vielleicht, um sie ruhig zu
stellen.“
Susanne nickte nur zustimmend, während er seine Gedanken weiterspann.
„Okay. Sie wird misshandelt. Warum? Wenn jemand auf diese Weise foltert, will
er normalerweise etwas haben, etwas herauspressen.“
„Genau das ist der Punkt“, unterbrach Susanne ihn. „Wenn wir wüssten,
was das ist, wären wir ein gutes Stück weiter.“ Sie fuhr sich müde durch das
stumpfe Haar. „Wie in den meisten Fällen werden wir den Täter wahrscheinlich im
persönlichen Umfeld des Opfers finden. Aber es wäre erheblich einfacher, wenn
wir ein Motiv hätten. Natürlich werden wir auch nach dem Tatort suchen. Aber
das ist wie die Stecknadel im Heuhaufen. Um die Hünefeldstraße herum gibt
Weitere Kostenlose Bücher