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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Familie besaß sogar eine kleine Datscha, zu der sie an den Wochenenden hinausfuhren. Im eigenen Wagen.
    Irmas persönlicher Entschluß, eine Ausreisegenehmigung zu verlangen, das, was sie jetzt in eine Refusnik verwandelt hatte, hing dennoch wie eine schwarze Wolke über der ganzen Familie.
    Es war auch an der Atmosphäre zu Hause zu spüren, obwohl alle sich bemühten, es Carl nicht offen zu zeigen. Die Mutter, nicht der Vater, war Parteimitglied und sogar für den Parteikongreß nominiert worden, der Gorbatschows Stellung weiter festigte.
    Carl würde der ganzen Familie schaden, und er wußte es. Nach seiner Abreise würden sie alle in Verdacht geraten, in ein westliches Komplott verwickelt gewesen zu sein, und hätte sich alles in der Stalinzeit oder vielleicht sogar noch in der Breschnjew-Ära ereignet, hatte man sie ins Gefängnis gesperrt oder umgebracht. Jetzt konnte man nicht wissen, was mit ihnen geschehen würde.
    Carl fuhr mit der direkten U-Bahnlinie zur Rischskaja und dann mit dem Trolleybus zu ihrer Straße. Er lochte selbst seine Fünf-Kopeken-Fahrkarte in dem kleinen Gerät an der Wand des Busses wie ein gesetzestreuer sowjetischer Bürger.
    Sie öffnete selbst die Tür, und zu seinem Erstaunen fand er sie allein zu Hause. Die Familie war mit dem Wagen zur Datscha hinausgefahren, aber sie ließen ihn alle grüßen, erklärte sie kurz.
    Er reichte ihr unbeholfen seine zwei Flaschen Beaujolais Royal aus der Botschaft. Die Bezeichnung hatte offenbar etwas mit der Königsfamilie in Schweden zu tun. Das erklärte die großen Mengen, in denen gerade dieser Wein in allen schwedischen Botschaften zu finden war.
    Er setzte sich auf ihren entschiedenen Befehl in den großen, verschlissenen Ledersessel des Vaters, worauf sie sich an den Flügel setzte und eine halbe Stunde ohne eine einzige Pause spielte, als wäre es ein richtiges Konzert.
    Das Wohnzimmer war Treffpunkt der Familie und eine Mischung aus Musikzimmer, Wohnzimmer, Bibliothek und Eßzimmer. Die Fenster waren recht groß, und in weiter Ferne erkannte er in der Abenddämmerung die roten Flugsicherungslaternen des Rundfunk und Fernsehturms. In dieser Richtung lag sein Ziel, von dem Fernsehturm an etwa genauso weit in der anderen Richtung. Dort lag der nördliche Vorort Bibirewo-Medwedkowo-Babuschkin, und da lag auch eine Endstation der U-Bahn namens Medwedkowo.
    Soviel er wußte, war es kein vornehmer Vorort. Wer im Süden Moskaus wohnte, hatte eine bessere Adresse.
    Als sie mit ihrer Klaviersonate fertig war und er Beifall geklatscht hatte, langsam und mit Nachdruck, wie man es tut, wenn man allein ist, drehte sie sich zu ihm um und sah ihn lange stumm an, bevor sie etwas sagte.
    »Glaubst du, daß ich jemals vor einem finnischen Publikum spielen werde?« fragte sie schließlich und erweckte den Eindruck, als glaubte sie es selbst nicht.
    »Kaneschna, ja, natürlich«, log er so schnell wie ungeniert. Er wußte ja, daß sie nie eine Ausreisegenehmigung erhalten würde.
    Sie stand von ihrem Klavierhocker auf, ging langsam auf ihn zu und kniete auf dem kasachischen Teppich nieder und legte Hände und Arme auf seine Schenkel.
    »Du bist eine sehr schöne Frau«, sagte er aufrichtig, flocht behutsam die Finger der rechten Hand in ihr dichtes schwarzes Haar und zog sie an sich, als er sie im Nacken ergriff. Dann küßte er sie. Jetzt war es passiert. Sie waren zum ersten Mal allein.
    Er hatte vielleicht erwartet, daß sie sich entziehen oder zumindest den Kuß vorsichtig erwidern würde, doch statt dessen wurde sie überraschend schnell eifrig und leidenschaftlich und küßte ihn weiter, während sie sich auf den Knien aufrichtete und ihm die Krawatte und dann die Jacke auszog. Sie verhedderten sich kurz in ihren Kleidern, doch dann stand er behutsam auf, zog sie mit sich, hob sie hoch und trug sie in ihr Zimmer, das sie mit ihrer Schwester teilte, denn er vermutete, daß das Schlafzimmer der Eltern ihr nicht recht sein würde.
    Sie liebte ihn fast verzweifelt, und er empfand es, als wäre sie es, die ihn führte, als würde er selbst nur folgen wie in einem erregten lateinamerikanischen Tanz. Im Bruchteil einer Sekunde schoß ihm der Gedanke durchs Gehirn, daß er offenbar keinerlei Mühe hatte, im Dienst zu lieben, während es ja privat ganz anders war.
    Hinterher lag sie ruhig auf dem Bauch, bohrte das Gesicht ins Kopfkissen, und es war fast so, als schämte sie sich. Doch das konnte er sich nicht recht vorstellen, das paßte nicht dazu, wie sie der

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