Feind des Feindes
KGB bestand.
Und jetzt hatte man tatsächlich zum ersten Mal diskret und professionell seine wenigen Habseligkeiten durchsucht. Folglich hatten sie nichts gefunden, was verdächtig wirkte, und wenn sie wie schwedische Sicherheitsleute dachten, zogen sie daraus vielleicht den Schluß, daß dieser Umstand sehr verdächtig war. Vielleicht sollte er einige halbwegs unschuldige Akten von seinem Arbeitszimmer mit nach Hause nehmen, damit sie etwas berichten konnten. Er konnte nur hoffen, daß es ihnen nicht gelang, in die geschlossene Abteilung oben im Botschaftsgebäude einzudringen.
Er stellte sich eine Weile ans Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus. Auch bei Tageslicht hatte er nur eine triste Aussicht auf einen Bauplatz, an dem die neue Botschaft der Bundesrepublik errichtet wurde, soviel er wußte, an einem kleinen Straßenstück, das die Russen freundlicherweise in Olof Palme-Straße umgetauft hatten, nachdem man dort einen kleinen Gedenkstein mit einer Büste Olof Palmes aus schwarzem Eisen eingeweiht hatte.
Es war der erste Abend seit sehr langer Zeit, an dem er vollkommen nüchtern war. Er genoß den Zustand wie ein Alkoholiker seinen ersten Drink, als käme er damit endlich wieder zu sich.
Er duschte sich seine und Irmas gemeinsame Gerüche ab, setzte sich dann entschlossen an den Schreibtisch und schrieb zum ersten Mal seit vielen Jahren einen langen Liebesbrief. In seiner eigenen Sprache, an eine Landsmännin, eine Polizeibeamtin.
Ihre Augen blickten ängstlich wie die eines Rehs, als er sie beim Bootsverleih im Gorkipark entdeckte, wo sie sich zum zweiten Mal trafen. Es nieselte und war kaum das richtige Wetter für einen Ausflug mit dem Ruderboot. Er hatte einen Regenschirm bei sich und fühlte sich wie ein englischer Gentleman, als er den Schirm in die linke Hand nahm, sie behutsam auf die Wangen küßte und ihr den rechten Arm reichte.
Es würde wahrscheinlich ein langer Spaziergang werden, und er wollte es ihr überlassen, den ersten Zug zu tun. Sie ging lange Zeit angespannt neben ihm her, bis sie anfangen konnte, und sah sich von Zeit zu Zeit unbewußt um, als wüßte oder befürchtete sie, daß man sie beobachtete.
»Carl, mein Lieber, ich muß ganz aufrichtig zu dir sein«, begann sie in ihrem melodiösen gebrochenen Englisch. »Es ist etwas Abscheuliches passiert. Wenn die wüßten, daß ich dir all das erzähle, würde ich in große Schwierigkeiten geraten.«
Dann verließ sie der Mut, und sie verstummte.
»Wer sind ›die‹, von denen du sprichst? KGB oder GRU?« fragte er schließlich mit einem so beruhigenden und selbstverständlichen Tonfall, wie er nur aufbieten konnte.
»Nicht das KGB. Es sind irgendwelche Militärs.«
»Also das GRU. Nun, ich glaube nicht, daß das so gefährlich ist, liebe Irma. Es ist bestimmt nicht so gefährlich, wie du glaubst. Die tun nur ihre Arbeit. Alle Länder haben solche Leute, wir auch. Und sie sind immer mißtrauisch, hier wie zu Hause bei uns. Sie schnüffeln eine Zeitlang überall herum, schreiben dann Berichte, die in irgendwelchen Archiven landen, und dann muß nicht unbedingt mehr passieren.«
»Sie sagen, du seist ein Spion«, schnitt sie ihm das Wort ab.
»Tja«, sagte Carl und sah sie mit einem feinen Lächeln an, um sie nach Möglichkeit zu beruhigen, »damit haben sie irgendwie auch recht. Das ist aber gar nichts Besonderes. Es gibt legale und illegale Spione, bei euch ebenso wie bei uns. Ich habe viele Jahre als illegaler Spion gearbeitet, und das wissen sie. Wenn man aber lange genug dabeigewesen ist, wird man irgendwann verbrannt, ja, das heißt so. Man wird irgendwann bei allen anderen Agenten so bekannt, daß man mit dem Job aufhören muß. Dann kann man zum Beispiel Militärattaché werden so wie ich jetzt. Aber das ist ein legaler Diplomatenjob, so daß du dir deswegen keinerlei Sorgen zu machen brauchst.«
»Sie sagen, daß ich mit ihnen zusammenarbeiten muß, denn sonst… es ist entsetzlich!«
»Denn sonst bekommst du nie eine Ausreisegenehmigung. Ich weiß, ich kenne das. Nun ja, so sind die Spielregeln. Früher war es aber schlimmer. Damals hätten sie gedroht, dich und deine ganze Familie in den Gulag zu schicken. Bestenfalls.«
»Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Begreifst du nicht, in was für eine furchtbare Lage ich deinetwegen geraten bin?«
»Doch, Irma, das verstehe ich. Und würde ich hier in der Stadt einer illegalen Tätigkeit nachgehen, wäre ich jetzt ebenso in Schwierigkeiten wie du. Aber so, wie die
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