Feind des Feindes
sein konnten, ihm so auffällig zu folgen.
Die Ampel schaltete auf Grün. Er fuhr schnell den Prospekt Marksa entlang, kam an seinem Ausgangspunkt vorbei, als die Ampel am KGB-Platz gerade umschaltete; die anderen Wagen hinter ihm blieben seelenruhig vor der roten Ampel stehen.
Es war dunkel und nieselte. Die Fassade des großen gelben KGB-Gebäudes mit dem grauen Sockel wurde nicht angestrahlt. Die meisten Fenster waren dunkel. Nur im obersten Stockwerk brannte Licht.
Als er den inneren Ring überquerte, steigerte er die Geschwindigkeit; bis jetzt kannte er die Strecke noch. Anschließend ging es immer geradeaus weiter, bis er den gewaltigen Prospekt Mira erreichte, den »Friedensboulevard«. Er lachte plötzlich auf, als ihm die Ironie des Namens aufging.
Es war ein Abend mitten in der Woche. Die Gefahr, daß Sandström jetzt noch arbeitete, war sehr gering. Und die Gefahr, daß er seiner früheren Gewohnheit getreu irgendwo auf einer Sauftour war, war gleich Null. Am größten war noch das Risiko, daß er irgendeine Frau bei sich hatte. Carl durfte keinen Zeugen haben.
Als der Prospekt Mira oben beim Park mit der Abkürzung WDNCH endete, fuhr er zum ersten Mal auf unbekanntes Terrain. Jetzt hieß die Straße Jaroslawskoje Chaussee, und anschließend kamen die fünf schwierigen Passagen durch die Vororte, wo er einmal Gefahr lief, sich zu verfahren.
Er hatte vom Start bis zum Ziel zwanzig Minuten gebraucht. Er hatte sich nicht verfahren und wurde wahrscheinlich nicht verfolgt.
Carl bog in die Straße zum U-Bahnhof ein, ohne den Blinker zu betätigen, doch keiner der zwei Wagen hinter ihm folgten. Danach war die Straße leer. Nein, er war vermutlich immer noch allein und wurde hoffentlich auch nicht erwartet.
Er fuhr langsam am U-Bahnhof vorbei und parkte den Wagen fünfzig Meter weiter, wo noch einige weitere Wagen standen; in den Vororten Moskaus gab es offensichtlich keine Parkprobleme.
Carl verließ den Wagen und ging zum U-Bahnhof zurück. Es mußte gerade ein Zug eingelaufen sein, denn vereinzelte Fahrgäste verließen den Bahnhof und gingen in verschiedenen Richtungen davon. Die meisten hatten Tragetaschen in den Händen. Das war ein gewohnter Anblick in Moskau, wo die Menschen immer darauf gefaßt waren, irgendwo auf eine Schlange zu stoßen, wenn eine unerwartete Lieferung eingetroffen war.
Der U-Bahnhof war mit einem tristen grauen Betonklotz überbaut, und davor befanden sich ein geschlossener Tabakkiosk, ein paar Reihen mit Mineralwasser und Kwaß-Automaten, aber alles war geschlossen.
Carl ging an den Rand des Bürgersteigs. Er betrachtete zunächst die drei Telefonzellen auf der linken Seite und blickte schließlich zum achten Fenster des gegenüberliegenden weißen Hauses.
Dort brannte Licht.
Carl ruhte im Augenblick, als wäre jetzt alles vorbei. Es war, als wollte er hierbleiben. Die Straße bot ein Bild vollkommenen Friedens. Er sah nur drei Menschen, die in verschiedenen Richtungen auseinanderstrebten.
Dann fiel ihm ein, daß er nach Möglichkeit zur Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt zurück sein sollte. Er holte tief Luft, überquerte langsam den asphaltierten Fahrdamm und begab sich auf die Rückseite des Hauses.
Das erste, was er sah, war ein Eishockeyspielfeld, das ein wenig verfallen wirkte. Daneben entdeckte er ein paar Schaukeln des stabilen russischen Typs mit langen stählernen Armen statt Ketten.
Er ging auf die Haustür zu. Davor stand eine grüngestrichene Holzbank, deren Holz zum Teil verfault war, so daß die Rückenlehne in sich zusammengefallen war. Die Haustür war blau gestrichen und besaß kein Zahlenschloß. Carl ging hinein, ohne sich auch nur umzusehen, denn dazu war es jetzt zu spät. Wenn sie wirklich die Besten der Welt waren, würde er sie ohnehin nicht sehen.
Der Fahrstuhl hatte offenbar im ersten oder zweiten Stock gestanden, denn er kam fast augenblicklich. Er besaß das übliche alte russische System mit Doppeltüren und einem Kontakt, der beim Schließen der Innentüren hergestellt wurde. Carl drückte auf den Knopf für das Stockwerk unter der Wohnung des Verräters.
Der Flur war eng und dunkel. Die Treppe zum nächsten Stockwerk war sehr schmal. Es würde Carl schwerfallen, schnell die Treppe hinunterzulaufen, und vor allem war die Gefahr groß, daß er dabei Lärm machte. Um ein Haar wäre er über ein Dreirad gestolpert. Er schob es zur Seite und beschloß, die Fahrstuhltüren offen zu lassen. Dann suchte er den Lichtknopf. Er mußte
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