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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Nachrichtendienst eine so perfekte Antwort geben können.
    War es richtig gewesen, sie als Zeugin dazulassen? Carl erkannte, daß er sich nicht genügend vorbereitet und nicht im voraus bedacht hatte, wie er die Probleme lösen wollte, falls Sandström nicht allein in der Wohnung war. Er hatte ganz einfach gehofft, ihn allein vorzufinden.
    Also. Erst die Frau erwürgen, wie Sandström es hätte tun können, in einer Art plötzlichem Rückfall in sein bekanntes Verhaltensmuster, um ihn dann aus Verzweiflung Selbstmord begehen zu lassen? Ein Sprung durchs Fenster?
    Nein, ein Sturz aus dem achten Stock garantierte noch nicht den Tod. Folglich hätte er vor dem Sprung getötet werden müssen, und eine gerichtsmedizinische Untersuchung hätte das recht schnell herausgefunden. Überdies wäre es schwieriger gewesen, sich unbemerkt vom Tatort zu entfernen.
    Es hätte sowohl aus schwedischer als auch sowjetischer Sicht als verbrecherisch gelten können, über einen Sowjetbürger herzufallen. So wie die Dinge jetzt standen, konnte man höchstens behaupten, der stellvertretende Marineattaché der schwedischen Botschaft habe Dinge getan, die mit seiner Stellung als Diplomat unvereinbar seien, was ebensogut Trunkenheit am Steuer wie etwas Ernsteres bedeuten konnte.
    Jetzt wußten die Russen genau, was geschehen war. Mit Hilfe eines fähigen Gerichtsmediziners hätten sie es ohnehin entdeckt, den Rest, den sie noch nicht gewußt hätten, hätte ein Verhör Irmas ergeben, denn es hätte gezeigt, daß Carl sich genau um den Zeitpunkt, zu dem der Verräter umgebracht worden war, nicht im Bolschoi-Theater befand.
    In der Sache veränderte der jetzige Erkenntnisstand nichts. Der schwedische Nachrichtendienst hatte sich im Verhältnis zu seinem sowjetischen Widerpart vollkommen korrekt verhalten. Das durfte beispielsweise Racheaktionen ausschließen; die Russen waren dafür bekannt, daß sie sich in solchen Situationen sehr besonnen verhielten. Im Gegensatz zu manchen anderen: In Frankreich hätte man den Operateur nicht mit heiler Haut davonkommen lassen.
    Wahrscheinlich konnte Carl ohne das geringste Risiko zur Botschaft spazieren, obwohl sie vermutlich schon jetzt irgendwo in dem neunstöckigen Haus am Chodnika-Flugfeld saßen, wo Zentral liegt, und die Lage einer hektischen Beurteilung unterzogen.
    Irma hatte sie vielleicht sogar im voraus darüber informiert, daß sie sich gerade heute abend »Raymonda« ansehen wollten. Wenn das so war, konnten sie sogar vor dem Theater stehen und warten.
    Nicht einmal diese Vorstellung brachte Carl aus der Ruhe. Das Ganze war vorbei, die Operation beendet, das Ziel vernichtet. Es war zwar wünschenswert, daß sämtliche Maschinen sicher zu ihren Basen zurückkehrten, aber das war nicht das Wichtigste.
    Was blieb, war der menschliche Preis. Sie warteten nicht vor dem Theater.
    Es war schon fast elf Uhr, aber er wollte sich nicht gleich von ihr trennen, obwohl es nur wenige und nicht sonderlich angenehme Lokale gab, in die man jetzt noch gehen konnte. Sie wollte auch nicht gleich nach Hause fahren.
    Sie fuhren ein kurzes Stück und parkten auf der Rückseite der Basiliuskathedrale. Mit Hilfe eines großzügig bemessenen Bestechungsgeldes wurden sie diskret in einen der sogenannten Nachtclubs des Hotels Rossija eingelassen.
    Dort spielte ein Tanzorchester, in dem Saxophone die dominierenden Instrumente waren. Die Musiker spielten in einer violetten Scheinwerferbeleuchtung, die jedem Gast schon nach einer Stunde entsetzlich auf die Nerven gehen mußte. Die Stühle waren wackelig und aus Kunststoff. Das nur halb besetzte Lokal war verqualmt und laut. Der größte Teil des Publikums waren Russen, da die Touristensaison in Moskau schon längst vorbei war.
    Beide sagten nicht viel, was nur zum Teil an der allzu lauten Musik lag; genau wie im Westen.
    Sie versuchten, eine Flasche moldawischen Weißwein zu bestellen, aber der erwies sich als zu billig, obwohl Carl das jetzt weniger direkt erklärte. Es mußte also wieder »Goldchampagner« sein.
    Und zum letzten Mal sowjetskoje schampanskoje solotkoje, gleichgültig, was dann passiert, dachte Carl.
    Er hielt auf dem Tisch ihre Hand. Sie wirkte traurig, fast als begriffe sie, daß dies das Ende war.
    Vermutlich würden sie draußen vor der Tür auf sie warten. Ob sie je erfahren würde, was während des zweiten Akts geschehen war?
    Ihre Hand sah so aus, wie man sich eine Pianistenhand vorstellt. Die Adern zeichneten sich deutlich auf dem Handrücken

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