Feind des Feindes
Fahndungsergebnisse waren damals völlig in Ordnung gewesen. Der mutmaßliche Täter war am Ende identifiziert worden, und Rune Jansson war ihm vor kurzem wiederbegegnet, gerade in seiner Eigenschaft als Experte für extreme Methoden der Gewaltausübung. Der Mann war von denen da oben sogar befördert worden und neuerdings Fregattenkapitän.
Doch welche eventuellen nationalen Interessen sich im Fall Maria Szepelinska-Adamsson verborgen hatten, war schwer vorstellbar. Und jetzt fiel es Rune Jansson noch schwerer, sich in diesem Fall irgendwelche nationalen Interessen vorzustellen, die sich der Fahndung in den Weg stellen konnten. Es konnte kaum im Interesse der Nation liegen, der Polizei zu erlauben, zwei Offiziere der Luftwaffe zu ermorden und dabei überdies zu übertriebenen und widerwärtigen Methoden zu greifen.
Diesmal werde ich nicht lockerlassen, schwor sich Rune Jansson.
Carls Arbeit war während des ganzen Montags wie am Schnürchen gegangen, obwohl er gezwungen gewesen war, vier Stunden reiner Logistik zu widmen. Er war mit der U-Bahn gefahren und mehrmals umgestiegen, um unbemerkt sowohl zu einem konspirativen Treffen mit Jurij Tschiwartschew wie zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Seitdem sämtliche Zeitungen ein Foto von ihm gebracht hatten, war es sehr wahrscheinlich, daß ihn jemand erkannte, wenn er sich in dem großen Bürohaus bewegte, in dem die Operationsabteilung ihre als Software-Firma getarnten Büroräume besaß, etwa wenn er mit dem Fahrstuhl fuhr. Er hatte sich völlig anders gekleidet als gewohnt und sah jetzt fast wie ein etwas in die Jahre gekommener amerikanischer Universitätsstudent aus mit seiner rauchfarbenen Brille, Sportschuhen, Jeans und dem zu weiten Baumwollsweatshirt mit einer amerikanischen Aufschrift, das er unter einer wattierten Nylonjacke trug.
Jurij Tschiwartschew hob ein wenig die Augenbrauen, als Carl selbst zu dem Treffen erschien, statt einen Ersatzmann zu schicken. Allerdings hatten sie nichts Gegenteiliges vereinbart. Jetzt beschlossen sie, als Erkennungscode die beiden Namen Tatjana und Alexejewna zu verwenden, was ein wenig unprofessionell war, Tschiwartschew zufolge jedoch komisch genug, um akzeptabel zu sein. Überdies war Carl der Meinung, daß es aus Sicherheitsgründen falsch sein würde, sich eines toten Briefkastens zu bedienen. Es war unangenehm, die Hand in etwas hineinzustecken, wenn man nicht wußte, was sich darin befand. Außerdem sei es unnötig, erklärte er, Besorgnis und Mißtrauen zu schaffen, und er gebe der persönlichen Beziehung, die sie inzwischen hergestellt hätten, den Vorzug. Es sei korrekt, sich weiterhin persönlich zu treffen.
Bei der Begegnung übergab Jurij Tschiwartschew ihm eine Aktentasche, die er gleich öffnete, um den Inhalt zu zeigen. Die Tasche war mit numerierten und datierten Tonbandkassetten gefüllt, was Carl nach Luft schnappen ließ. Er konnte sich leicht vorstellen, daß das Schlimmste schon geschehen war.
Jurij Tschiwartschew erklärte kurz, es gebe keinen Grund, vor der nächsten Begegnung über das Material zu sprechen, »denn erst müßten die schwedischen Genossen Gelegenheit haben, es zu bewerten und zu analysieren«.
Carl sah schnell ein, daß es für ihn eleganter war, brisantes Material entgegenzunehmen, wenn er nicht genau wußte, worum es sich dabei handelte - falls dieses Treffen nachträglich vor einem anderen Vorgesetzten erklärt oder begründet werden müßte.
Anschließend begab sich Carl auf verschlungenen Umwegen zum Stadtteil Gärdet und ging in die Tiefgarage des großen Bürohauses der Elektronikfirma. Er fuhr mit dem Fahrstuhl ins oberste Stockwerk zur Operationsabteilung. Alles verlief ohne Komplikationen und Zwischenfälle.
Er betrat sofort die innerste, geschlossene Sektion und rief Lundwall und Stålhandske zu sich. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich in letzter Zeit zu wenig um sie gekümmert hatte, doch das würde sich jetzt wohl ändern. Jetzt stand ihnen ohne Zweifel sowohl technische als auch operative Arbeit bevor.
Er kürzte die Diskussion um die Publizität der letzten Tage auf ein Mindestmaß ab, murmelte dazu nur, nickte und bestätigte, und dann nahmen sie sich das von Tschiwartschew übergebene Material vor.
Die Kassetten enthielten, wie nicht anders zu erwarten, abgehörte und mitgeschnittene Telefonate. Und schon die ersten Worte auf dem ersten Band ließen sie aufhorchen. Nachdem eine Telefonistin sich mit Expressen gemeldet und das Gespräch zu dem
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