Feind
Er nahm sich selbst ein Messer und schrubbte die Wurzeln ab.
Wie jeden Abend strömten auch heute diejenigen zum Lagerplatz der
Mondpriesterinnen, die von Wehwehchen geplagt wurden. Meist waren es
wundgelaufene Füße, die versorgt werden wollten. Obwohl er sich vorgenommen
hatte, nicht auf sie zu achten, konnte Helion nicht entgehen, dass Ajinas
Dienste besonders gefragt waren. Sie handhabte die kleine, scharfe Klinge, mit
der sie die Blasen aufschnitt, mit besonderem Geschick, und ihr Lächeln schien
dem Wundsalz das schärfste Brennen zu nehmen. Offenbar war ihr auch die Göttin
hold, denn über wessen Wunden sie den Segen sprach, der konnte am nächsten Tag
ohne Krücke marschieren.
»Ich habe versucht, mir heute eine Blase zu laufen«, berichtete Pepp
vergnügt. Er war Helions Blick gefolgt. »Wer wollte seine Füße nicht von der
blonden Schönheit streicheln lassen?«
»Vor allem, wenn sie den Gestank mit solchem Gleichmut erträgt.«
»Gestank?«
»Schon mal an Füßen gerochen, die einen ganzen Tag in Stiefeln
steckten?«
»Sie lächelt immer«, wandte Pepp unsicher ein.
»Ajina kann ihre Abscheu eben gut verbergen.«
»Ist das ihr Name? Ajina? Seid Ihr mit ihr bekannt?«
»Ich kenne jene, zu deren Schutz ich kommandiert bin.«
Pepp sah ihn an, fand es dann aber klüger, seine Aufmerksamkeit
wieder den Kartoffeln zu widmen.
Bei den Priesterinnen breitete sich eine Unruhe aus, die etwas
Ungewöhnliches anzeigte. Normalerweise kamen die Fußlahmen mit
zusammengebissenen Zähnen und gingen humpelnd mit leisem Lächeln. Jetzt gab es
wütendes Rufen und lautes Jammern. Stirnrunzelnd stand Helion auf, um die
Quelle des Tumults zu suchen.
Eine Handvoll Verwundeter drängte sich vor, um von Ajina und ihren
Gefährtinnen behandelt zu werden. Die Gewänder hatten ilyjischen Schnitt, waren
aber durch den vielen Schlamm ihrer Eleganz verlustig gegangen. Die Tunika des
Kochs, der Helion seine Suppe verkauft hatte, war zudem mit Blut verschmiert,
das aus einer Kopfwunde sickerte. Allzu schlimm konnte die Verletzung nicht
sein, der Mann ging aus eigener Kraft und gestikulierte aufgeregt. Helion war
zu weit entfernt, um ihn zu verstehen. Zudem versperrte die sich ansammelnde
Menschenmenge seine Sicht.
»Mach damit weiter«, sagte er zu Pepp und warf ihm die Wurzeln zu.
Er legte die Hand an den Schwertgriff, als er sich den Weg zum Ort des
Geschehens bahnte.
»… ohne jeden Grund!«, hörte er. »Wenn es ihm nicht schmeckt, soll
er doch einen Ochsen kaufen und ihn von mir aus bei lebendigem Leibe
auffressen!«
»Kaufen?«, rief eine andere Stimme. »Die wissen noch nicht einmal,
was Geld ist! Was glaubt ihr denn, warum jeder froh ist, sie von hinten zu
sehen? Ich würde meine Kinder nicht in die Nähe von Barbaren lassen!«
Helion hatte die Sprecher fast erreicht, als sein Blick auf eine
Gestalt fiel, die vollständig vom Gewand einer Mondpriesterin verhüllt war. Sie
hatte eine Stoffbahn der Toga über ihren Kopf gezogen, sodass ihr Gesicht
gänzlich im Schatten lag. Die faltige Hand hielt einen mannshohen Stock fest
gefasst. Der Körper zitterte, und als Helion näher kam, hörte er das leise
Lachen, das dafür verantwortlich war.
Er legte die Hand auf die Schulter der Gestalt und drückte etwas
fester zu, als nötig gewesen wäre. »Auf ein Wort, Ehrwürdige!«, sagte er scharf
und zog sie zum nächsten Wagen. Helion betete stumm eine Litanei gegen den
Zorn, um sie nicht allzu rüde hineinzustoßen. Seine Rüstung klapperte laut, als
er hinterherkletterte und die Plane zuzog.
»Ihr solltet Euch nicht im Hellen draußen zeigen!«, zischte er.
»Von ›zeigen‹«, antwortete eine tiefe Stimme, »kann kaum die Rede
sein. Es sei denn, mit uns zieht jemand, dessen Blick die Kleidung zu
durchdringen vermag.«
»Was treibt Ihr dort draußen? Das ist gegen die Absprache!«
»Was für eine Absprache meint Ihr? Ich habe nur Bitten gehört, mehr
nicht. Und die schönsten Wünsche sind stets die unerfüllten.« Funken sprühten, als
ein Feuerstein gegen ein Stück Stahl schlug. Drei Versuche später traf einer
von ihnen den Zunder, der um den Docht einer Laterne lag. Die Helligkeit
beschien ein Gesicht, in das sich tiefe Falten gegraben hatten, sodass es wie
alte Borke aussah. Es waren die Züge eines Mannes, der sich nie geschont hatte.
Wäre er kein Magier gewesen, hätte man ihm mehr als sieben Jahrzehnte
zugestanden, aber die dunklen Kräfte ließen sich ihre Dienste mit dem Leben
selbst bezahlen, und sie
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