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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Himmel … doch er selbst glaubte offenkundig nicht daran. Dem Abgrund des Todes gegenüber sah er kein Licht, keinen Gott auf der anderen Seite. Er war so allein wie ein Kind in der Nacht.
    Sie ließ ihre Träume fahren und hörte sich erstaunt sagen: »Ich bin bei dir. Mach dir keine Sorgen.« Er umklammerte ihre Hand stärker, und sie fasste nach seinem anderen Arm. »Du brauchst nichts zu fürchten. Diesen Weg müssen alle Menschen gehen. Er ist nichts als ein Durchgang. Jetzt ist der Zeitpunkt
gekommen zu glauben. Du bist nicht allein, Reginald. Alle Lebewesen sind bei dir. Es bedeutet nur einen Schritt in die Ewigkeit. Du hast bei so vielen Menschen erlebt, wie sie ihn mit Mut und Anstand getan haben. Du kannst es auch, ganz bestimmt.«
    Er blieb auf der Bettkante sitzen, doch allmählich entspannte sich sein Körper. Der Schmerz hatte wohl nachgelassen, denn er ließ sich von ihr ins Bett helfen und schlief nach wenigen Augenblicken ein. Sie ging um das Bett herum auf die andere Seite und legte sich wieder hin.
    So müde sie war, kam der Segen des Vergessens erst, als es schon fast früher Morgen war.
    Er stand auf. Zwar war er ein wenig bleich, wirkte aber sonst ganz wie immer. Er sprach den nächtlichen Vorfall mit keiner Silbe an und vermied es, sie anzusehen.
    Sie ärgerte sich sehr über ihn. Es war kläglich, dass er ihr nicht zumindest dankte, und sei es mit einem Lächeln. Sie war nicht auf Worte angewiesen. Aber offenbar grollte er ihr, weil sie ihn all seiner Würde entkleidet gesehen, seine nackte Angst erkannt hatte. Zwar begriff sie das, und dennoch verachtete sie ihn wegen seiner Kleingeistigkeit.
    Er war krank. Das gestand sie sich ein. Selbst wenn er heute nicht daran denken mochte: es war eine Tatsache. Er brauchte Isadora, und es war gleichgültig, ob sie aus Zuneigung, Mitleid, Achtung oder einfach aus Pflichtgefühl bei ihm blieb. Sie war mit ihm gemeinsam gefangen, solange es dauern würde. Das konnten Jahre sein. Sie sah diese Zeit sich wie eine Straße auf einer grauen Ebene bis zum Horizont erstrecken. Sie würde sie mit ihren eigenen Träumen ausschmücken müssen, nie aber nach ihnen greifen dürfen.
    Vielleicht waren es ohnehin nie etwas anderes als Träume gewesen. Nichts hatte sich verändert, lediglich ihr Bewusstsein.

Kapitel 9
    I ch kann es nicht glauben!«, rief Jack Radley aus. Er saß am Frühstückstisch und hielt mit bleichem Gesicht und zitternden Händen die Zeitung empor.
    »Was?«, fragte Emily. Sofort nahm sie an, es habe mit dem Mord an Maude Lamont zu tun, der gerade eine Woche zurücklag. Hatte Thomas etwas gefunden, was Rose belastete? Erst jetzt ging ihr auf, wie sehr sie diese Möglichkeit gefürchtet hatte. Das Schuldbewusstsein überwältigte sie. »Was hast du da gelesen?« Ihre Stimme klang schrill vor Angst.
    »Einen Leserbrief von Aubrey!«, sagte Jack und legte die Zeitung so vor sie hin, dass sie ihn sehen konnte. »Offenbar will er sich damit gegen das zur Wehr setzen, was General Kingsley über ihn geschrieben hat, aber es ist äußerst leichtfertig.«
    »Meinst du mit ›leichtfertig‹, dass er unbekümmert drauflos geschrieben hat? Das sieht Aubrey gar nicht ähnlich.« Sie hörte ihn förmlich sprechen – die Wirkung dessen, was er sagte, hing nicht nur mit dem Wohlklang seiner Stimme zusammen, sondern durchaus auch mit seiner Wortwahl. »Was schreibt er?«
    Jack holte tief Luft und biss sich auf die Lippe. Offenkundig wollte er nicht antworten, als würde der Text dadurch wirklicher, dass man ihn vorlas.
    »Ist es so schlimm?«, fragte sie, von tiefer Sorge ergriffen. »Wird es Folgen haben?«
    »Ich denke schon.«
    »Nun, lies es mir vor, oder gib es mir«, sagte sie. »Du kannst
doch nicht einfach sagen, dass es schlimm ist, und es mir dann vorenthalten!«
    Er sah auf das Blatt und begann leise und nahezu ausdruckslos zu lesen: »Vor kurzem hat mir Generalmajor Roland Kingsley in dieser Zeitung vorgeworfen, ich sei ein Idealist mit geringem Bezug zur Wirklichkeit, ein Mann, der bereit sei, die ruhmreiche Vergangenheit unseres Volkes und damit die Männer zu missachten, die gekämpft haben und gestorben sind, um es zu schützen und anderen Ländern die Freiheit und die Wohltaten zu bringen, die mit Recht und Gesetz verbunden sind. Unter gewöhnlichen Umständen hätte ich es der Zeit überlassen zu zeigen, dass er sich irrt, und darauf vertraut, dass mich meine Freunde besser kennen und Fremde sich um ein abgewogenes Urteil bemühen.
    Doch ich

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