Feinde der Krone
Reginald Schmerzen litt, veranlasste sie, die Augen wieder zu öffnen und sich langsam aufzusetzen. Mit den Worten: »Ich mach dir Wasser heiß«, schlug sie die Decke zurück und stand auf. Ihr Nachthemd aus feinem Leinen reichte bis zum Fußboden. Die Sommernacht war so warm, dass sie nichts darüber zu ziehen brauchte, und um die Schicklichkeit musste sie sich nicht sorgen, denn um diese Stunde würden keine Dienstboten mehr auf sein.
»Nein!«, kam ein erstickter Schrei aus seiner Kehle. »Lass mich nicht allein!«
»Wenn du das Wasser in kleinen Schlucken trinkst, hilft das«,
sagte sie. Unwillkürlich hatte sie Mitleid mit ihm. Er sah elend aus. Schweißperlen standen auf seiner Haut, und seine Körperhaltung zeigte, dass er Schmerzen hatte. Sie kniete vor ihm nieder. »Ist dir nicht gut? Kann es sein, dass du etwas gegessen hast, was nicht frisch oder nicht durchgekocht war?«
Wortlos sah er zu Boden.
»Es geht bestimmt vorüber«, sagte sie tröstend. »Eine Weile ist es schlimm, aber es hört bestimmt auf. Vielleicht solltest du in Zukunft weniger Rücksicht auf die Empfindungen deiner Gastgeberin nehmen und alles vorübergehen lassen bis auf die einfachsten Speisen. Manchen Leuten ist nicht klar, wie oft du genötigt bist, als Gast in fremden Häusern zu essen. Das kann nach einer Weile wirklich zu viel werden.«
Er sah sie mit dunklen, verängstigten Augen an, flehte wortlos um Hilfe.
»Soll ich den Arzt kommen lassen? Ich kann Harold schicken.« Sie machte das Angebot lediglich, um etwas zu sagen. Wie schon bei früheren Gelegenheiten würde der Arzt lediglich Pfefferminzwasser geben. Es war eine Zumutung, ihn nur deshalb kommen zu lassen, weil ihr Mann Blähungen hatte, ganz gleich, wie sehr sie ihn quälen mochten. Früher hatte der Bischof in solchen Fällen nichts davon wissen wollen, da er der Ansicht war, es vertrage sich nicht mit der Würde des hohen Amtes. Wie konnte man achtungsvoll zu einem Mann aufblicken, der nicht einmal seine Verdauungsorgane zu beherrschen vermochte?
»Ich will ihn nicht«, stieß er hervor. Dann brach ein Schluchzen aus ihm heraus. »Glaubst du wirklich, es lag am Essen?« Es klang wie eine wilde Hoffnung, als flehe er sie an, ihm zu versichern, dass es sich so verhielt.
Sie merkte, dass er fürchtete, es könne etwas Schlimmeres sein als eine Magenverstimmung, dass er annahm, er sei jetzt schwer krank, nachdem er über Jahre hinweg lediglich an Kleinigkeiten gelitten hatte. Wovor nur hatte er eine so entsetzliche Angst? Vor den Schmerzen? Oder vor der Peinlichkeit, sich erbrechen zu müssen, nicht mehr Herr seiner Körperfunktionen zu sein, vor der Notwendigkeit, von anderen sauber gehalten zu werden, auf deren Pflege er angewiesen war?
Mit einem Mal tat er ihr wirklich Leid. Sicherlich hatte insgeheim jeder solche Befürchtungen, wie dann erst jemand, dem Macht und Selbstgefälligkeit alles bedeuteten? Im Tiefsten seines Herzens mochte er ahnen, wie brüchig die Autorität war, auf die er sich stützte. Vermutlich glaubte er nicht, dass Isadora ihn genügend liebte, um sich in einer solchen Phase seines Lebens an ihn gebunden zu fühlen, und war überzeugt, dass nur das Pflichtgefühl sie veranlassen würde, an seiner Seite zu bleiben. Das aber wäre beinahe schlimmer als die Pflege durch Fremde. Nur in den Augen der Außenwelt wäre damit alles in Ordnung, und niemand würde je erfahren, wie es wirklich um ihre Ehe stand, ob es zwischen ihnen eine wie auch immer geartete Beziehung gab oder nicht.
Er sah sie nach wie vor an, wartete, dass sie ihm versicherte, seine Angst sei unnötig, und alles werde vorübergehen. Das aber war ihr nicht möglich. Selbst wenn er ein Kind gewesen wäre und nicht ein Mann, der älter war als sie selbst, hätte sie ihm diese Gewissheit nicht zu geben vermocht. Man konnte nicht immer die Augen vor der Wirklichkeit einer Krankheit verschließen.
»Ich werde alles tun, was ich kann, um dir zu helfen«, flüsterte sie. Sie tastete nach seiner Hand, mit der er seine Knie umkrallte, und legte die ihre darauf. Sie spürte das Entsetzen, das er empfand, als wäre es durch seine Haut auf sie übergegangen. Dann ging ihr schlagartig auf, was es war: er hatte Angst zu sterben. Sein Leben lang hatte er die Liebe Gottes gepredigt, das unbedingte Erfordernis, den Geboten zu gehorchen, das nicht in Frage gestellt werden durfte und nicht erklärt werden konnte, die Hinnahme des irdischen Leides und das völlige Vertrauen auf das ewige Leben im
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