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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bewerbe mich bei der unmittelbar bevorstehenden Wahl um den Unterhaussitz von South Lambeth und kann mir daher den Luxus nicht leisten, Zeit verstreichen zu lassen.
    In unserer Vergangenheit gibt es viele ruhmreiche Ereignisse, an denen ich weder etwas ändern könnte noch wollte. Die Zukunft aber können wir nach unseren Vorstellungen gestalten. Man mag herrliche Gedichte über militärische Katastrophen wie den Angriff der leichten Kavallerie bei Sewastopol schreiben, bei dem tapfere Männer auf Befehl unfähiger Offiziere sinnlos ihr Leben lassen mussten. Unser Mitleid sollte den Überlebenden solcher verzweifelter Unternehmungen gelten, die lebenslänglich im Lazarett vegetieren müssen oder uns blind oder verstümmelt auf der Straße begegnen. Wir wollen ihre Gräber eines Tages mit Blumen schmücken!
    Doch wir sollten auch darauf achten, dass ihre Söhne und Enkel nicht auf die gleiche Weise ums Leben kommen. Das zu verhindern, haben wir nicht nur die Macht, sondern auch die Pflicht.«
    »Das ist doch nicht unbedacht!«, wandte Emily ein. »Soweit ich sehen kann, hat er damit Recht. Es scheint mir eine ausgesprochen ausgewogene und durchaus ehrenwerte Einschätzung der Lage.«
    »Ich bin noch nicht fertig«, sagte Jack finster.
    »Nun, was sagt er noch?«
    Er sah erneut auf das Blatt. »Wir brauchen ein Heer, das in Kriegszeiten kämpfen kann, sofern uns fremde Völker bedrohen. Wir brauchen aber keine unter der Flagge des Imperialismus segelnden Abenteurer, die der Ansicht sind, wir als Engländer hätten das Recht, jedes beliebige Land anzugreifen und zu erobern, sei es, weil wir unsere Lebensweise für überlegen halten und der festen Überzeugung sind, diese Länder würden Nutzen daraus ziehen, dass wir ihnen mit Waffengewalt unsere Ordnung und Gesetze aufpfropfen, sei es, weil sie Land, Mineralvorkommen oder andere Bodenschätze besitzen, die wir ausbeuten können.«
    »O Jack!« Emily war entsetzt.
    »In diesem Stil geht es weiter«, sagte er bitter. »Zwar wirft er Kingsley nicht buchstäblich vor, er wolle auf Kosten des kleinen Mannes seinen eigenen Ruhm mehren, lässt das aber deutlich genug durchblicken.«
    »Warum nur?«, fragte sie mit einem flauen Gefühl in der Magengrube. »Ich dachte, er hätte … ein besseres Gespür für die Realität. Selbst wenn das alles stimmt, wird er damit nicht die Menschen als Freunde gewinnen, auf die er angewiesen ist! Wer mit ihm einer Meinung ist, steht ohnehin schon auf seiner Seite; die anderen aber werden ihn um so tiefer hassen!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Wie kann er nur so einfältig sein.«
    »Wahrscheinlich hat ihn Kingsley aus dem Konzept gebracht«, sagte Jack. »Ich nehme an, dass Aubrey schon immer etwas gegen die Vorstellung vom Recht des Stärkeren und gegen Opportunismus hatte, und genau in diesem Licht sieht er den Imperialismus.«
    »Das ist wohl ein bisschen einseitig, nicht wahr?«, sagte sie. Es war keine wirkliche Frage. Sie ließ sich in ihren Ansichten weder von Jack noch von sonst jemandem beeinflussen. Die Dinge hätten anders gelegen, wenn es um Wissen gegangen wäre, aber das hier hatte mit Empfindungen und damit zu tun, andere Menschen zu verstehen. »Ich gelange immer mehr zu der Überzeugung, dass es bei politischen Auseinandersetzungen in erster Linie darum geht, die menschliche Natur richtig zu verstehen. Deshalb sollte man klugerweise den Mund halten,
wenn Worte ohnehin nichts ändern würden. Man darf sich nie zu Lügen hinreißen lassen, bei denen man ertappt werden kann, und unter keinen Umständen die Selbstbeherrschung verlieren oder etwas versprechen, wovon sich später nachweisen lässt, dass man es nicht eingehalten hat.«
    Er lächelte, aber es wirkte in keiner Weise heiter. »Das hättest du Aubrey vor ein paar Tagen klarmachen sollen.«
    »Du glaubst, dass sich das tatsächlich auswirken wird?« Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass es sich anders verhalten könnte. »Das ist doch die Times , nicht wahr? Ja. Wie viele der Wähler in South Lambeth lesen die deiner Ansicht nach?«
    »Ich weiß nicht, aber ich gehe jede Wette ein, dass Charles Voisey sie liest«, gab er zur Antwort.
    Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie die Wette annehmen und sich von ihm einen neuen Sonnenschirm kaufen lassen sollte, falls sie gewann, dann aber begriff sie, wie sinnlos das war. Natürlich würde Voisey den Artikel lesen – und er würde ihn für sich ausschlachten.
    »Aubrey äußert sich über das Militär,

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