Feinde der Krone
über den Tisch. »Sie ist nach wie vor so verängstigt, dass sie kaum noch weiß, was sie tut, Thomas. Sie hat ihre Auskunft nicht bekommen, wirklich! Sie sucht nach einem anderen Medium, um endlich zu erfahren, was sie wissen will.«
Der Wasserkessel pfiff schrill, doch Pitt achtete nicht darauf. »Maude Lamont könnte ihr etwas gesagt haben, was sie nicht zu glauben bereit ist«, gab er zu bedenken. »Und jetzt hat sie Angst, dass es herauskommt.«
Emily sah ihn an. Es wäre ihr lieber gewesen, dass er sie nicht so gut verstand. Aber ihr war klar, dass er in ihren sich jagenden Gedanken lesen konnte, die sie am liebsten versteckt hätte. Allerdings hätte es ihr auch keinen Trost bedeutet, wenn sie ihn zu täuschen vermocht hätte. Stets hatte sie ihre Fähigkeit im Umgang mit Menschen für ihre größte Gabe gehalten. Sie konnte sie bezaubern und sie um den Finger wickeln und hatte oft erreicht, dass Menschen ihre Wünsche erfüllten, ohne selbst zu merken, dass das, was sie so begeistert taten, eigentlich ihr Einfall gewesen war.
In letzter Zeit war ihr immer mehr aufgefallen, wie wenig es sie befriedigte, diese Gabe zu nutzen. Sie wollte nicht weiter sehen können als Jack und auch nicht stärker oder klüger sein als er. Anderen voraus zu sein bedeutete, dass man ziemlich einsam war. Manchmal – zum Glück nicht immer – musste man die Last auf sich nehmen, das gehörte zur Liebe und zum Verantwortungsbewusstsein. Freude machte es nur, weil es richtig war, weil es sich gehörte und man damit andere
beschenkte, nicht aber, weil man selbst Nutzen daraus zog.
Daher begehrte sie zwar innerlich dagegen auf, dass Pitt von ihr mehr wissen wollte, als sie zu sagen bereit war, doch war es ihr zugleich mehr als recht, dass er sich nicht mit einer halben Antwort abspeisen ließ. Er musste klüger sein als sie, da sie keine Möglichkeit hatte, Rose zu helfen, und nicht einmal gewusst hätte, wie eine solche Hilfe hätte aussehen können. Es war ohne weiteres möglich, dass sie die Dinge nur schlimmer machte. Ihre Überzeugung, dass Rose nicht an Anfällen von Wahnsinn litt, war nicht unerschütterlich. War es denkbar, dass Rose in ihrer Panik geglaubt hatte, Maude Lamont kenne ihr Geheimnis und bedrohe sie und Aubrey? Emily fiel ein, wie rasch sich Rose unter dem Einfluss der Angst gegen sie gewandt hatte. Schlagartig war die Freundschaft vor ihren Augen verschwunden, so wie Wasser auf einem heißen Feuerrost verdampft.
»Sie hat geschworen, dass sie es nicht getan hat«, sagte sie.
»Und du möchtest ihr glauben«, beendete Pitt ihren Gedankengang. Er stand auf, ging zum Herd und zog den Wasserkessel vom Feuer. Dann wandte er sich ihr wieder zu. »Hoffentlich hast du Recht. Aber irgendjemand hat sie umgebracht. Mir wäre es lieb, wenn es auch nicht General Kingsley gewesen wäre.«
»Der Unbekannte«, sagte Emily. »Du weißt wohl immer noch nicht, wer das ist … oder?«
»Nein.«
Sie sah ihn an. Ein unerklärlicher Schmerz lag in seinen Augen. Er sagte nicht die Unwahrheit, das hatte er ihres Wissens noch nie getan. Aber es gab da eine Welt von Empfindungen und Tatsachen, über die er ihr nichts mitzuteilen bereit war.
»Danke, Emily«, sagte er und kehrte an den Tisch zurück. »Hat sie erwähnt, ob sonst noch jemand von dieser Angst wusste? Aubrey?«
»Nein.« Sie war ihrer Sache sicher. »Er weiß nichts davon. Und falls du glaubst, Maude Lamont habe sie erpresst, würde ich sagen, auch das trifft meiner Ansicht nach nicht zu.« Während
sie das sagte, spürte sie eine plötzliche Besorgnis. Eigentlich stimmte das nur zum Teil. Konnte Pitt das an ihrem Gesicht sehen?
Er zuckte leicht die Achseln. »Vielleicht hat sie noch nichts davon gewusst«, sagte er trocken. »Möglicherweise hat jemand dafür gesorgt, dass Rose um Haaresbreite davongekommen ist.«
»Aubrey weiß nichts, Thomas! Wirklich nicht!«
»Ich nehme es an.«
Er ging mit ihr zur Haustür, nahm unterwegs sein Jackett vom Haken und akzeptierte dankbar, dass sie ihn in ihrer Kutsche bis zur Oxford Street mitnahm. Dort wandte sie sich nach Westen, um nach Hause zurückzukehren, während ihn sein Weg nach Süden zum Kriegsministerium führte. Dort wollte er noch einmal im Archiv nach Gründen dafür forschen, dass General Kingsley ausgerechnet die politische Partei angriff, deren Werte er stets hochgehalten hatte. Sicherlich gab es da eine Beziehung zum Tod seines Sohnes oder zu irgendetwas, was kurz davor geschehen war.
Nachdem er über
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