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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hingen seine Schultern herab.
    Pitt stand langsam auf. Er merkte, dass seine Beine unter ihm nachgeben wollten. In seinem Kopf wirbelten die entsetzlichsten Vorstellungen umher, wobei sich immer mehr der Gedanke in den Vordergrund drängte, Charlotte könnte etwas geschehen sein. Seine Lippen waren wie ausgedörrt, und als er zum Sprechen ansetzte, kam nur ein heiseres Krächzen aus seiner Kehle.
    »Guten Morgen, Mister Narraway«, sagte Vespasia kühl. »Nehmen Sie doch bitte Platz, und lassen Sie uns wissen, was Sie Thomas unbedingt in meinem Hause mitteilen müssen.«
    Er blieb stehen. »Es tut mir Leid, Lady Vespasia«, sagte er leise und warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Dann wandte er sich an Pitt. »Heute Morgen hat man Francis Wray tot aufgefunden.«
    Einen Augenblick lang begriff Pitt nicht, was das bedeutete. In seinem Kopf drehte sich alles. Er war wie benommen. Es hatte nichts mit Charlotte zu tun. Sie war in Sicherheit. Alles war gut! Das Entsetzliche war nicht eingetreten. Fast fürchtete er, vor Erleichterung in hysterisches Lachen auszubrechen. Es kostete ihn eine übermenschliche Anstrengung, sich zu beherrschen.
    »Das tut mir Leid«, sagte er. Damit war es ihm ernst, zumindest teilweise. Er hatte Wray gut leiden können. Andererseits war der Tod angesichts des tiefen Kummers, den Wray empfunden hatte, möglicherweise keine Heimsuchung, sondern eine Wiedervereinigung.
    Nichts veränderte sich in Narraways Zügen, nur ein Muskel neben seinem Mund zuckte leicht. »Es sieht wie Selbstmord aus«, sagte er. »Vermutlich hat er irgendwann gestern Abend Gift genommen. Sein Dienstmädchen hat ihn heute Morgen gefunden.«
    »Selbstmord!« Pitt war wie vor den Kopf geschlagen. Das konnte er nicht glauben. Unvorstellbar, dass Wray etwas tat, was Gottes Willen so sehr zuwiderlief. Auf Gott hatte er sein ganzes Vertrauen gesetzt, es war für ihn der einzige Weg zurück zu denen, die er so aufrichtig geliebt hatte. »Nein … es muss eine andere Lösung geben«, begehrte er auf. Seine Stimme überschlug sich fast.
    Narraway wirkte ungehalten, als könne jeden Augenblick ein entsetzlicher Wutausbruch folgen. »Er hat eine Mitteilung hinterlassen«, sagte er bitter. »In Gestalt eines Gedichts von Matthew Arnold.« Ohne auf eine Antwort zu warten, zitierte er auswendig:
    »›Such dein schmales Bette auf,
Ende deinen Lebenslauf.
Eitel ist der Menschen Sinnen,
Fortgehn musst du, musst von hinnen.
     
    Enden lass des Lebens Glanz.
Gans wird Schwan und Schwan wird Gans.
Lass geschehen, wie es will,
Leg zur Ruh dich und sei still.‹«
    Narraway wandte den Blick nicht von Pitt. »Die meisten würden darin wohl einen Abschiedsbrief sehen«, sagte er leise. »Voiseys Schwester, Octavia Cavendish, die schon seit langer Zeit mit Wray befreundet war, hat ihn gestern Nachmittag zu der Zeit besucht, als Sie von ihm fortgingen. Sie sagt, dass er ziemlich verzweifelt war und offenbar kurz zuvor geweint hatte. Sie hatten sich im Dorf über ihn erkundigt.«
    In Pitt krampfte sich alles zusammen. »Er hat um seine Frau geweint!«, stieß er hervor, hörte aber die Verzweiflung in seiner eigenen Stimme. Obwohl es der Wahrheit entsprach, klang es wie eine Ausrede.
    Narraway nickte bedächtig. Sein Mund bildete eine schmale Linie.
    »Das ist Voiseys Rache«, flüsterte Vespasia. »Es macht ihm nichts aus, einen alten Mann zu opfern, um Thomas beschuldigen zu können, er habe ihn in den Tod getrieben.«
    »Nicht ich habe …«, setzte Pitt an, sprach aber nicht weiter, als er den Blick sah, den sie ihm zuwarf. Wetron hatte ihn auf Wrays Fährte gesetzt und erklärt, das sei der Mann, der sich hinter der Kartusche verberge. Tellmans Worten zufolge hatte Wetron die Absicht gehabt, seine Leute dort hinzuschicken, sofern Pitt der Sache nicht weiter nachginge. Gewiss hatte
er das gesagt, weil ihm klar war, dass Pitt selbst hinausfahren würde, bevor er das zuließe. Stand der Mann auf Voiseys Seite, oder arbeitete er gegen ihn? Oder beides, je nachdem, was seinen Zielen jeweils förderlich war?
    Vespasia wandte sich an Narraway. »Was werden Sie jetzt unternehmen?«, fragte sie, als sei es unvorstellbar, dass er tatenlos bleiben werde.
    Narraway wirkte erschöpft. »Sie haben völlig Recht, Lady Vespasia. Das ist Voiseys Rache, und er hat sie meisterhaft eingefädelt. Die Zeitungen werden Pitt erledigen. Francis Wray wurde von allen, die ihn kannten, hoch verehrt, wenn nicht gar geliebt. Er hat viele Schicksalsschläge tapfer und

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