Feinde der Krone
richtete sich mühevoll auf und schleppte sich dorthin, wo das Pferd des anderen stand, der seinen leichten Einsitzer quer über die Straße gestellt hatte. Er führte das Tier beiseite, kehrte zu seinem Fuhrwerk zurück, so rasch er in der Dunkelheit konnte, und führte sein Pferd am Zaum an dem Hindernis vorüber. Dann stieg er wieder auf den Kutschbock und trieb es so rasch an, wie es laufen konnte. Vor ihnen verfärbte sich der Himmel schon ein wenig. Bis zur Morgendämmerung würde es nicht mehr lange dauern.
»Danke«, sagte Charlotte leise und drückte die zitternde Jemima dicht an sich, während sie Daniel mit der Hand festhielt. Auch Edward drängte sich an sie. »Ich glaube, er hat uns von Anfang an beobachtet.« Charlotte sagte nichts weiter, erwähnte den Namen Voisey nicht, sprach nicht vom Inneren Kreis. Aber alle dachten dasselbe.
»Ja«, gab ihr Gracie Recht, und mit stillem Stolz in der Stimme fügte sie hinzu: »Danke, Samuel.«
Tellman war ziemlich übel mitgenommen, und das Blut jagte so heftig durch seine Adern, dass er fast benommen war. Was ihn aber vor allem erstaunte, war die Wildheit, mit der er gegen den Mann gekämpft hatte. Etwas Urzeitliches war in ihm durchgebrochen, und er fühlte sich davon zugleich hochgestimmt und bedrückt.
»Sie bleiben in Exeter, bis wir wissen, ob Voisey seinen Wahlkreis gewonnen hat oder nicht«, sagte er.
»Nein, ich denke, ich werde nach London zurückkehren«, widersprach Charlotte. »Wenn man Thomas die Schuld am Tod dieses Mannes gibt, ist es meine Pflicht, bei ihm zu sein.«
»Sie bleiben hier«, sagte Tellman tonlos. »Das ist ein Befehl. Ich werde Mister Pitt eine telegraphische Mitteilung schicken, damit er weiß, dass Sie alle wohlbehalten und in Sicherheit sind.«
»Inspektor Tellman, ich …«, setzte sie an.
»Das ist ein Befehl«, wiederholte er. »Tut mir wirklich Leid, aber wir brauchen nicht weiter darüber zu reden.«
»Ja, Samuel«, sagte Gracie leise.
Schweigend drückte Charlotte Jemima noch enger an sich.
Kapitel 14
I sadora saß dem Bischof am Frühstückstisch gegenüber und sah, wie er mit seinem Essen spielte, Schinken, Eier, Wurst und Nierchen auf dem Teller hin und her schob. Er sah schlecht aus, aber er hatte sich schon so oft über kleinere Beschwerden beklagt. Aus Erfahrung wusste sie, dass er ihr alles haarklein auseinander setzen würde, wenn sie ihn fragte. Er würde sich dann nicht damit begnügen, dass sie geduldig zuhörte und ihr Mitgefühl äußerte, sondern würde erwarten, dass sie irgendetwas für ihn tat. Dazu aber hatte sie im Augenblick keine Lust, und so aß sie ihren mit Orangenmarmelade bestrichenen Toast und wich seinem Blick aus.
Als der Butler die Morgenzeitung hereinbrachte, bedeutete ihm der Bischof, er solle sie neben ihn auf den Tisch legen, wo er jederzeit danach greifen konnte.
»Nehmen Sie meinen Teller weg«, sagte er.
»Sehr wohl, Mylord. Hätten Sie gern etwas anderes?«, erkundigte sich der Butler fürsorglich, während er den vollen Teller abräumte. »Sicherlich kann die Köchin etwas machen.«
»Nein, danke«, erwiderte der Bischof. »Ich habe keinen Appetit. Gießen Sie einfach Tee nach.«
»Sehr wohl, Mylord.« Der Butler tat, wie ihm geheißen, dann zog er sich zurück.
»Fühlst du dich nicht wohl?«, fragte Isadora automatisch. Es war ihr so sehr zur Gewohnheit geworden, dass sie es nicht hatte unterdrücken können.
»Es ist deprimierend«, sagte er, ohne die Zeitung zur Hand
zu nehmen. »Die Liberalen werden gewinnen, Gladstone wird erneut die Regierung bilden, doch wird die nicht von langer Dauer sein. Andererseits: was ist schon von langer Dauer?«
Sie fühlte sich verpflichtet, freundlich zu ihm zu sein. Sie spürte seine Angst über den Tisch hinweg, als liege sie wie ein Geruch in der Luft. »Bei Regierungen ist das auch richtig so«, sagte sie sanft, »aber die guten Dinge sind durchaus von Dauer. Das hast du dein Leben lang gepredigt, und du weißt, dass es stimmt. Alles Rechtschaffene, was zerstört wird, kann Gott wieder richten. Geht es bei der Auferstehung nicht genau darum?«
»Ja, das Prinzip heißt Hoffnung«, gab er zur Antwort, aber seine Stimme klang ausdruckslos, und er sah sie nicht an.
»Und ist es etwa nicht an dem?« Sie nahm an, der Klang seiner eigenen Worte werde ihm Kraft geben, wenn sie ihn dazu brachte, auf das Gespräch einzugehen. Dann würde er merken, dass er daran glaubte.
»Nun … ich weiß es nicht«, sagte er stattdessen. »Es
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