Feinde der Krone
mit spöttischer Stimme. »›Wir wollen Napoleons Geist fragen, was der russische Zar als Nächstes zu tun gedenkt. Bestimmt hat er ihm wegen Moskau und 1812 noch nicht verziehen.‹«
»Er würde es uns wohl nicht einmal dann sagen, wenn er es wüsste«, gab sie zu bedenken. »Wahrscheinlich hat er uns die Sache mit Waterloo erst recht nicht verziehen.«
»Wenn wir niemanden fragen könnten, mit dem wir je Krieg geführt haben, blieben auf der ganzen Welt praktisch nur Portugal und Norwegen übrig«, gab er zurück. »Deren Wissen über unsere Zukunft dürfte aber äußerst begrenzt sein, und außerdem ist sie ihnen vermutlich völlig gleichgültig.« Er holte tief Luft und stieß sie seufzend wieder aus. »Emily, glaubst du, sie geht wirklich zu einem Medium, ich meine, außer zum Spaß bei irgendwelchen Gesellschaften?«
»Ja …«, sagte sie mit einer Überzeugung, bei der ihr ein Schauer über den Rücken lief. »Ja … ich fürchte, so ist es.«
Am nächsten Morgen folgten weitere bestürzende Neuigkeiten. Während Pitt beim Frühstück die Zeitungen las, stieß er auf einen Leserbrief. Nicht nur war er der erste auf der Seite, er war auch noch besonders hervorgehoben.
Zeitlebens habe ich die Politik der Liberalen unterstützt und alles bejaht, was diese Partei für die Menschen unseres
Volkes und damit mittelbar für die Welt erreicht hat. Ich bewundere die von ihr eingeleiteten Reformen und die Gesetze, die mit ihnen einhergehen.
Nun habe ich in jüngster Zeit als Bürger des Wahlkreises South Lambeth mit um so größerer Bestürzung und wachsender Unruhe gehört, welche Ansichten Mr. Aubrey Serracold, der Kandidat der Liberalen für diesen Unterhaussitz, äußert. Er tritt nicht für die altbewährten liberalen Werte einer vernünftigen und aufgeklärten Reform ein, sondern für einen ziemlich übersteigerten Sozialismus, der all die großen Errungenschaften der Vergangenheit in einer Welle unüberlegter Veränderungen zerstören würde. Zweifellos ist all das gut gemeint, würde aber lediglich dazu führen, dass für eine kurze Zeit wenige einen Vorteil zu Lasten vieler hätten, das Ergebnis letzten Endes aber die Zerstörung unserer Wirtschaft sein würde.
Ich fordere alle Anhänger der Liberalen Partei auf, äußerst aufmerksam zu verfolgen, was Mr. Serracold zu sagen hat, und zu überlegen, ob sie ihn wirklich unterstützen können und falls ja, welchen Niedergang sie damit unserem Volk bereiten würden.
Gesellschaftliche Reformen sind das Ideal eines jeden wackeren Mannes, aber dazu sind Weisheit und Wissen erforderlich, und sie müssen Schritt für Schritt so behutsam durchgeführt werden, dass unsere Gesellschaft sie verarbeiten kann, ohne daran Schaden zu nehmen. Werden sie überstürzt, um die maßlose Ichsucht eines Mannes zu befriedigen, der nicht die geringste Erfahrung besitzt und, wie es aussieht, auch nur wenig praktischen Verstand, wird das von der großen Mehrheit unseres Volkes, das von uns Besseres erwarten darf, einen hohen Preis fordern, wenn diese Menschen dadurch nicht sogar ins Elend gestürzt werden.
Ich schreibe das in tiefer Betrübnis, Roland Kingsley, Generalmajor a.D.
Pitt, dem bis dahin das mit Butter bestrichene Brot und der Räucherhering gut geschmeckt hatten – diese Art von Frühstück
verstand er recht gut zuzubereiten –, ließ den Tee kalt werden und sah ausdruckslos auf das Zeitungsblatt vor sich. Das war der erste offene Schlag gegen Serracold. Er würde ihm mit Sicherheit schaden, denn er war hart und gut gezielt.
Rüstete der Innere Kreis zum Kampf, fing die Schlacht jetzt an?
Kapitel 3
P itt kaufte fünf weitere Zeitungen und nahm sie mit nach Hause, um zu sehen, ob Generalmajor Kingsley in ähnlichem Ton an andere Blätter geschrieben hatte. In dreien fand er den gleichen Brief mit lediglich kleineren Veränderungen im Wortlaut.
Pitt legte die Zeitungen zusammen und überlegte, welches Gewicht man der Sache beimessen musste. Wer war dieser Kingsley? Gehörte er zu den Menschen, deren Meinung andere beeinflussen würde? Wichtiger aber: War es ein Zufall, dass er diesen Brief jetzt geschrieben hatte, oder bedeutete das den Beginn eines Feldzugs gegen Serracold?
Er saß schon eine ganze Weile da, ohne in der Frage, ob er mehr über Kingsley würde in Erfahrung bringen müssen, zu einem Ergebnis gekommen zu sein, als es an der Haustür klingelte. Ein Blick auf die Küchenuhr zeigte ihm, dass es nach neun war. Die Zugehfrau hatte wohl ihre
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