Feinde der Krone
Gesicht sieht aus, als hätte man sie erwürgt oder erstickt.«
»Auf jeden Fall ist sie erstickt.« Snow neigte den Kopf und nickte leicht. »Genaueres kann ich erst nach einer Laboruntersuchung sagen, aber ich denke, es handelt sich um Eiweiß –«
»Wie bitte?«, fragte Pitt ungläubig. »Warum sollte sie Eiweiß schlucken? Und was ist diese – diese …«
»Irgendein feiner Stoff, eine Art Musselin oder Käseleinen«, gab Snow mit wissendem Lächeln zur Antwort, als habe er aufgrund tieferer Einblicke in die menschliche Natur bereits gewisse Vorstellungen von dem, was er finden würde. »Es ist ihr in die Lunge gelangt. Allerdings nicht versehentlich, und daran ist sie erstickt.« Er schob sich an Pitt vorüber, um den Spitzeneinsatz ihres Kleides zu öffnen, der sich dabei auflöste. Offensichtlich hatte man ihn zerrissen, um sie genauer untersuchen zu können, und pietätvoll wieder zurückgelegt. Oberhalb der schwellenden Brüste sah man einen Bluterguss, der kaum wahrnehmbar war, da der eintretende Tod die Blutzirkulation unterbrochen hatte.
Pitt sah Snow an. »Jemand hat sie gezwungen, das zu schlucken?«
Snow nickte. »Ich würde sagen, durch Druck mit dem Knie gegen die Brust«, erklärte er. »Man hat ihr das Zeug in den Hals geschoben und die Nase zugehalten. Auf der Wange ist ein leichter Kratzer zu sehen, der von einem Fingernagel herrührt. Sie wurde von einem ziemlich starken Gewicht niedergedrückt, bis sie einatmen musste – dabei ist sie erstickt.«
»Sind Sie sicher?« Pitt versuchte, sich nicht vorzustellen, wie die Frau nach Luft rang, während ihr die dicke Flüssigkeit die Kehle verschloss.
»Soweit das möglich ist«, gab Snow zur Antwort. »Es sei denn, die Autopsie ergibt ein völlig anderes Bild. Aber erstickt ist sie mit Sicherheit. Das sehe ich an ihrem Gesichtsausdruck und an den winzigen Blutgerinnseln in ihren Augen.« Pitt war erleichtert, dass er nicht darauf wies. Er hatte dergleichen
schon früher gesehen und begnügte sich gern mit den Worten des Arztes. Er nahm eine der kalten Hände und drehte sie ein wenig, um einen Blick auf das Handgelenk zu werfen. Dort fand er die leichten Blutergüsse, die er erwartet hatte. Jemand hatte sie festgehalten, möglicherweise nur kurz, aber auf jeden Fall gewaltsam.
»Ich verstehe«, sagte er leise. »Es wäre gut, wenn Sie mir bestätigen könnten, dass es sich um Eiweiß handelt, aber ich nehme an, es verhält sich so. Was könnte der Grund dafür sein, dass jemand auf eine so abwegige Tötungsart verfällt?«
»Das zu ermitteln ist Ihre Aufgabe«, sagte Snow knapp. »Ich kann Ihnen sagen, was geschehen ist, nicht aber, warum, und ich weiß auch nicht, wer es getan hat.«
Pitt wandte sich an Tellman. »Und das Mädchen hat sie also gefunden?«
»Ja.«
»Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
»Nicht viel, nur dass sie nichts gesehen oder gehört hat, nachdem sie den Raum verlassen hatte, weil Miss Lamont ihre Gäste erwartete. Sie sagt, dass sie sich bewusst fern gehalten hat. Außer Miss Lamonts … wie sagt man? … war einer der Gründe, warum diese Leute sie gern aufsuchten, die Vertraulichkeit, mit der sie rechnen durften.« Mit gerunzelten Brauen sah er Pitt an. »Wie nennt man das eigentlich?« Von Anfang an hatte er vermieden, Pitt »Sir« zu nennen, schon damals, als dieser zu seinem Vorgesetzten befördert worden war, denn der Sohn eines Wildhüters eignete sich seiner Überzeugung nach nicht zum Leiter einer Polizeiwache in der Hauptstadt. Das war eine Aufgabe für Herren: Offiziere, die den Dienst quittiert hatten, oder ehemalige Kapitäne wie Cornwallis. »Worum handelt es sich dabei eigentlich? Ist es ein Kniff, eine Täuschung, eine besondere Fertigkeit?«
»Wahrscheinlich von allem etwas«, gab Pitt zur Antwort und dachte laut weiter: »Sofern es der Unterhaltung dient, ist es wahrscheinlich harmlos. Woher aber will man wissen, ob jemand diese Dinge ernst nimmt, ganz gleich, ob man das möchte oder nicht?«
»Eben! Man weiß es nicht!«, schnaubte Tellman. »Meinen
Bedarf decken jedenfalls Kartenkunststücke oder Kaninchen, die man aus dem Hut zieht.«
»Wissen Sie, wer die Dame gestern besucht hat und ob die Gäste miteinander oder einzeln gekommen sind?«
»Das Hausmädchen weiß es nicht«, sagte Tellman. »Jedenfalls erklärt sie das, und ich habe keinen Grund, ihr nicht zu glauben.«
»Wo hält sie sich auf? Kann sie Fragen beantworten?«
»Durchaus«, versicherte ihm Tellman. »Natürlich ist
Weitere Kostenlose Bücher