Feinde der Krone
Sie hat ein schweres Eisenschloss, und die Leute schließen sie hinter sich ab, wenn sie gehen.«
»Ist das der Riegel, von dem Sie gesprochen haben?«
»Der wird von innen vorgeschoben. Dann kommt man nicht einmal mit einem Schlüssel hinein. Auf diese Weise ist die Tür normalerweise versperrt, außer, wenn besondere Gäste kommen.«
»Und solche Gäste suchten Miss Lamont allein auf?«
»Nein, gewöhnlich mit zwei oder drei anderen.«
»Gibt es viele davon?«
»Ich glaube nicht. Meistens hat sie sie selbst aufgesucht oder bei Gesellschaften getroffen. Nur ganz besondere Gäste sind etwa einmal in der Woche hergekommen.«
Pitt versuchte sich vorzustellen, wie eine Hand voll nervöser, aufgeregter Leute im Halbdämmer um einen Tisch saßen, mit ihren Ängsten und Träumen und in der Hoffnung, von jenseits des Grabes Stimmen von Menschen zu hören, die ihnen nahe gestanden hatten. Was aber sollten die ihnen sagen? Dass sie noch existierten? Dass sie glücklich waren? Sollten sie ihnen irgendwelche Geheimnisse über Leidenschaften oder über Geld anvertrauen, das sie mit ins Grab genommen hatten? Oder ihnen etwas verzeihen, was nun nicht mehr wieder gutzumachen war?
»Gestern Abend also waren besondere Besucher im Hause?« , fragte er.
»Ich nehme es an«, gab sie mit einem leichten Schulterzucken zur Antwort.
»Aber gesehen haben Sie keinen von ihnen?«
»Nein. Wie ich schon gesagt habe, ist diesen Herrschaften Diskretion sehr wichtig. Außerdem hatte ich gestern Abend frei und habe das Haus verlassen, gleich nachdem sie gekommen sind.«
»Wo waren Sie?«, fragte er.
»Bei einer Freundin. Mistress Lightfoot in Newington, auf dem anderen Themseufer.«
»Wo wohnt sie?«
»Lion Street 4, die geht von der New Kent Road ab«, antwortete sie ohne Zögern.
»Danke.« Man würde ihre Angaben routinemäßig überprüfen. Er kam erneut auf die Klienten des Mediums zu sprechen. »Wenn sich Miss Lamonts Besucher gesehen haben, waren sie ja wohl zumindest miteinander bekannt.«
»Möglich«, sagte sie. »Allerdings war es im Salon immer ziemlich dunkel. Ich weiß das, weil ich immer alles hergerichtet habe, bevor die Leute kamen. Sie saßen um den Tisch herum, und wer das wollte, konnte sein Gesicht leicht im Schatten halten. Die Petroleumlampen mit den roten Schirmen wurden nur an ein Tischende gestellt, und der Gaskandelaber blieb aus. Wer jemanden nicht schon vorher kannte, wird wohl nicht gesehen haben, wen er vor sich hatte.«
»Und gestern Abend war also einer der geheimnisvollen Besucher da?«
»Das nehme ich an, sonst hätte sie mir nicht gesagt, dass ich den Riegel zurückschieben sollte.«
»War er heute Morgen wieder vorgelegt?«
Ihre Augen weiteten sich ein wenig. Offenbar begriff sie sofort, worauf er damit hinaus wollte. »Das weiß ich nicht. Ich habe nicht nachgesehen.«
»Also werde ich es tun. Berichten Sie mir aber erst noch etwas über den gestrigen Abend. Alles, was Ihnen dazu einfällt. War Miss Lamont beispielsweise nervös, über etwas besorgt?
Ist Ihnen bekannt, ob man ihr je gedroht hat oder einer ihrer Klienten wegen der Sitzungen aufgebracht oder unzufrieden war?«
»Wenn ja, hat sie mir nichts davon gesagt«, gab das Hausmädchen zurück. »Allerdings hat sie über solche Dinge nie gesprochen. Bestimmt wusste sie Hunderte von Geheimnissen über andere Menschen.« Einen flüchtigen Augenblick lang änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Eine tiefe Empfindung stieg in ihr auf, und sie gab sich Mühe, sie zu verbergen. Dahinter mochte die Angst vor einem Verlust stehen oder das Entsetzen angesichts des plötzlichen und gewaltsamen Todes – wenn nicht etwas anderes, das er nie erraten würde. Ob sie wohl an Geister glaubte, die auf Böses sannen? Vielleicht aus Rachsucht?
»Sie hat so etwas immer für sich behalten«, sagte sie. Wieder war ihrem Gesicht nichts anzumerken. Sie war lediglich bemüht, seine Fragen zu beantworten.
Er überlegte, wie viel sie wohl über die Tätigkeit ihrer Herrin wusste. Immerhin hatte sie in diesem Hause gelebt. War sie denn überhaupt nicht neugierig?
»Räumen Sie in dem Salon auf, in dem die Séancen stattfanden?« , fragte er.
Ihre Hand zuckte kaum wahrnehmbar; es war kaum mehr als ein Erstarren der Muskeln. »Ja. Für die Arbeit in allen anderen Räumen haben wir eine Zugehfrau, aber dort musste immer ich Ordnung schaffen.«
»Die Vorstellung von übernatürlichen Erscheinungen macht Ihnen keine Angst?«
Der Ausdruck von Verachtung trat in
Weitere Kostenlose Bücher