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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Lackschrank.
»Ich wüsste nicht, auf welche Weise sie hier Täuschungsmanöver hätte durchführen können. Was hat man eigentlich von ihr erwartet? Geistererscheinungen? Stimmen? Menschen, die in der Luft schweben? Oder was sonst? Warum hätte überhaupt jemand glauben sollen, dass es sich um Geister handelte und ihnen nicht jemand genau das erzählte, was sie hören wollten?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Pitt. »Fragen Sie ihre Besucher danach, aber gehen Sie dabei mit Umsicht zu Werke. Machen Sie sich nicht über die Überzeugungen anderer Menschen lustig, ganz gleich, wie lächerlich sie Ihnen erscheinen mögen. Die meisten von uns brauchen mehr als den flüchtigen Augenblick; wir haben Träume, die sich hier nicht verwirklichen, und wir brauchen die Vorstellung von Ewigkeit.« Dann verließ er den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten, und ließ Tellman weiter nach etwas suchen, wovon er selbst nicht wusste, was es sein mochte.
    Er öffnete die Tür zum kleinen Arbeitszimmer. Ganz wie Lena Forrest es gesagt hatte, war der Sekretär in der Tat ausgesprochen schön: goldbraunes Holz mit einer herrlichen Einlegearbeit in dunklen und hellen Tönen.
    Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Als er die Klappe öffnete, bildete sie eine glatte Schreibfläche mit Ledereinsatz. Es gab zwei Schubladen und ein halbes Dutzend offene Fächer. In einer der Schubladen fand er das Heft und schlug es unter dem Datum des Vortages auf. Zwei Namen, die ihm bekannt waren, sprangen ihm entgegen. Sein Magen zog sich zusammen: Roland Kingsley und Rose Serracold. Jetzt wusste er, warum ihn Narraway hergeschickt hatte.
    Reglos bedachte er die möglichen Folgen. Konnte das lange helle Haar am Kleiderärmel der Toten von Rose Serracold stammen? Er wusste es nicht, da er sie nie gesehen hatte, aber er würde sich darum kümmern. Sollte er es Tellman zeigen oder warten, bis er selbst oder der Arzt es entdeckte, wenn er die Leiche für die Autopsie entkleidete? Es konnte alles Mögliche bedeuten – oder gar nichts.
    Erst nach einer Weile fiel ihm auf, dass die dritte Zeile keinen Namen enthielt, sondern eine ovale Zeichnung, etwa so
wie die Umrandung altägyptischer Königsnamen. Er hatte einmal gehört, dass jemand dergleichen als Kartusche bezeichnete. Diese hier enthielt einen Halbkreis, der sich über einem Zeichen wölbte, das einem umgedrehten f glich. Auch wenn das Zeichen alles andere als kompliziert war, vermochte er ihm nicht die geringste Bedeutung zu entnehmen.
    Welchen Grund mochte jemand für eine so große Geheimniskrämerei haben, dass sich selbst Maude Lamont lieber einer solchen skurrilen Bilderschrift bediente, als den Namen dieses Menschen hinzuschreiben? Der Besuch eines spiritistischen Mediums war weder skandalös noch verstieß er gegen die Gesetze. Höchstens sahen ihn Menschen als lächerlich an, die sich über derlei erhaben fühlten, womit sie sich den Vorwurf der Heuchelei gefallen lassen mussten. Angehörige aller Gesellschaftsschichten hatten an Sitzungen dieser Art teilgenommen, teils auf die Behauptung gestützt, es handele sich dabei um ernsthafte Unternehmungen, teils zur bloßen Unterhaltung. Andere mochten einsam und unsicher sein, Menschen, die Kümmernisse litten und auf die Versicherung angewiesen waren, dass jene, die ihnen nahe gestanden hatten, nach wie vor irgendwo existierten und sich noch über das Grab hinaus um sie sorgten. Möglicherweise leistete das Christentum, wie es gegenwärtig von der Kirche gepredigt wurde, das nicht mehr für sie.
    Pitt blätterte das Heft durch, um zu sehen, ob es weitere Kartuschen gab, sah aber immer nur die gleiche. Dieser Besucher schien im Mai und Juni in unregelmäßigen Abständen etwa ein halbes Dutzend Mal gekommen zu sein, durchschnittlich alle zehn Tage.
    Als er erneut nachsah, zeigte sich, dass Roland Kingsley schon siebenmal und Rose Serracold zehnmal dort gewesen war. Nur bei drei Gelegenheiten hatten alle drei an derselben Séance teilgenommen. Ein Blick auf die anderen Namen zeigte ihm, dass sich viele im Laufe der Monate wiederholten, andere nur ein oder zwei Mal auftauchten oder nicht mehr auftauchten, nachdem sie drei oder vier Wochen hintereinander gekommen waren. Waren sie zufrieden oder enttäuscht gewesen? Tellman würde diese Menschen aufspüren und fragen
müssen, um in Erfahrung zu bringen, was ihnen Maude Lamont gegeben hatte, und möglichst zu erkunden, was es mit der sonderbaren Substanz in ihrem Mund und ihrer Kehle auf

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