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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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»›Mister Radley, nicht wahr?‹ Dabei wusste er das ganz genau. Schließlich hatte er nach mir geschickt. Wer sonst hätte wohl kommen sollen?« Wieder zwinkerte er und hielt die Hand hinter das Ohr, als lausche er sorgfältig auf die Antwort und müsse sich bemühen, dass ihm kein Wort entging. »›Ich werde Ihnen gern in jeder mir möglichen Weise behilflich sein, Mister Radley. Ihre erfolgreichen Bemühungen sind nicht unbemerkt geblieben.‹« Unwillkürlich trat ein Stolz in seine Stimme, der im Widerspruch zu der gespielten Altersschwäche stand.
    »Weiter!«, drängte Emily. »Was hast du gesagt?«
    »Natürlich habe ich ihm gedankt!«
    »Aber hast du angenommen? Sag bloß nicht, dass du es nicht getan hast!«
    Seine Augen überschatteten sich flüchtig. »Natürlich habe ich angenommen! Selbst wenn er mir nicht wirklich hilft, wäre es ungehörig abzulehnen. Außerdem wäre es dumm von mir, ihm nicht den Eindruck zu vermitteln, als hätte er mir geholfen.«
    »Jack! Was hat er vor?«, fragte sie. »Du wirst doch nicht zulassen …«
    Er unterbrach sie, indem er erneut Gladstone nachahmte. Er strich sich die einwandfrei sitzende Hemdbrust glatt, zupfte sich den schmalen Querbinder zurecht, setzte sich einen imaginären Zwicker auf die Nase und sah sie unverwandt an. Dann hob er die rechte Hand zu einer Faust geballt, die nicht ganz geschlossen war, als hinderten ihn die von der Arthritis geschwollenen Knöchel daran. »›Wir müssen siegen!‹«, sagte er
mit Nachdruck. »›In den sechzig Jahren, seit ich ein öffentliches Amt bekleide, war das nie nötiger als jetzt.‹« Er hüstelte, räusperte sich und fuhr noch hochtrabender fort: »›Wir wollen mit dem guten Werk fortfahren, das wir bereits getan haben, und unsere Zuversicht nicht auf den Adel und die Junker setzen …‹« Er hielt inne. »Du musst jetzt jubeln!«, sagte er zu Emily. »Wie kann ich weiterreden, wenn du deine Rolle nicht ordentlich spielst? Du bist eine öffentliche Versammlung, also benimm dich auch wie eine!«
    »Ich dachte, du wärest allein bei ihm gewesen«, sagte sie rasch. Sie war enttäuscht, doch bemühte sie sich, es vor ihm zu verbergen. Warum hatte sie sich so viel erhofft? Es erstaunte sie selbst zu sehen, wie wichtig ihr die Sache letzten Endes war.
    »Das war ich auch«, bekräftigte er, rückte den imaginären Zwicker erneut zurecht und sah zu ihr hin. »Jeder, mit dem Mister Gladstone spricht, ist eine öffentliche Versammlung. Du bist einfach eine, die aus einer Person besteht.«
    »Jack!«, sagte sie leise kichernd.
    »›Und auch nicht auf Grundbesitz und Vermögensurkunden! ‹«, fügte er hinzu, zog die Schultern zurück und zuckte dabei zusammen, als peinigten ihn seine schmerzenden Gelenke. »›Ich gehe sogar noch weiter und sage, wir wollen sie auch nicht auf die Menschen als solche setzen, sondern auf den Allmächtigen Gott, der ein gerechter Gott ist und verlangt, dass wir unser Leben nach den Grundsätzen von Recht, Gleichheit und Freiheit ausrichten und sie unser Leben bestimmen lassen. ‹« Er runzelte die Brauen. »›Und das bedeutet natürlich, dass Ihm in erster Linie die Selbstbestimmung Irlands am Herzen liegt. Wenn wir sie dem Lande nicht sofort gewähren, werden uns die sieben tödlichen Plagen der Tories heimsuchen – oder sind es die des Sozialismus?‹«
    Unwillkürlich musste sie lachen. Die Besorgnis fiel von ihr ab wie ein plötzlich überflüssiger Mantel. »Das hat er doch bestimmt nicht gesagt!«
    Er grinste sie an. »Na ja, nicht Wort für Wort. Aber in der Vergangenheit hat er das durchaus schon gesagt. Heute hat er mir klargemacht, dass wir die Wahl gewinnen müssen, weil es
auf unabsehbare Zeiten zu Blutvergießen käme, wenn wir Irland nicht kraft Gesetz die Selbstbestimmung gewähren. Außerdem streben wir eine angemessene Dauer der Wochenarbeitszeit für alle Berufe an und wollen um jeden Preis eine Verwirklichung der Pläne Lord Salisburys verhindern, der eine engere Bindung an die Kurie von Rom anstrebt …«
    »Die Kurie von Rom?«, fragte sie verwirrt.
    »Den Papst«, erklärte er. »Mister Gladstone ist ein überzeugter Anhänger der Presbyterianischen Kirche Schottlands, auch wenn die ihn immer mehr im Abseits stehen lässt.«
    Sie hatte sich Gladstone immer als Muster an Religiosität und Rechtschaffenheit vorgestellt. Er war für seinen Bekehrungseifer bekannt und hatte in jüngeren Jahren sogar Prostituierte von den Straßen zu holen versucht, von denen seine

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